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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel jetzt auch für Länder mit hohem Einkommen

Christiane Fischer, Blickpunkt-Ausgabe 04/2023

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf – sie veröffentlicht regelmäßig die „WHO-Modellliste der unentbehrlichen Arzneimittel“ (WHO Model List of Essential Medicines). Diese Liste (EML) umfasst nur als sicher und wirksam geltende Arzneimittel und soll gewährleisten, dass lebenswichtige Medikamente für die Behandlung häufiger Gesundheitsprobleme in adäquater Menge, richtiger Dosierungsform, guter Qualität und zu einem erschwinglichen Preis in einem Land immer verfügbar sind. Erstmals wurden in diesem Jahr auch Medikamente in die Liste aufgenommen, die den Gesundheitsbedürfnissen aus Ländern mit hohem Einkommen entsprechen – darunter waren auch drei MS-Medikamente.

Modellliste der unentbehrlichen Arzneimittel

Erstmals wurde die EML im Jahr 1977 erstellt – ein Komitee (Expert Committee on the Selection and Use of Essential Medicines) traf hier die entsprechende Auswahl der Stoffe. Alle zwei Jahre aktualisiert die WHO ihre Modellliste, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Gesundheitsbedürfnissen und den neuesten medizinischen Erkenntnissen entspricht.
Neben einer Hauptliste (Core List) mit kosteneffektiven Wirkstoffen, die für grundlegende Bedarfe in einem Gesundheitssystem unerlässlich sind und einer Liste mit komplementären Wirkstoffen (Complementary List), die für Krankheiten mit spezieller Diagnostik und therapeutischen Möglichkeiten erforderlich sind, gibt es seit 2007 auch eine eigene Liste für Kinder (WHO Model List of Essential Medicines for Children).
Grundsätzlich ist die EML als Leitfaden gedacht und muss auf die Gesundheitsbedürfnisse jedes Landes angepasst werden: 90 % aller Krankheiten in einem Land sollen dann durch das jeweilige Medikament heilbar oder zumindest therapeutisch verbessbar sein. Jedes Land sollte aus der Modellliste eine eigene Länderliste erstellen; die Liste ist also als Empfehlung für Regierungen einzelner Staaten gedacht, um eigene Versorgungsstandards zu entwickeln, die an nationale Richtlinien und regionale Gegebenheiten angepasst sind. Ziel ist, den Zugang auch zu neuen Arzneimitteln, die einen eindeutigen klinischen Nutzen haben, zu erleichtern.

Die EML ist auch eine wichtige Ressource für Gesundheitsfachkräfte und Gesundheitspolitiker*innen weltweit, da sie dabei hilft, die Verfügbarkeit von lebenswichtigen Medikamenten zu gewährleisten und die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Sie trägt zur Kostenkontrolle bei und fördert eine rationale Verschreibungspraxis.

Die 23. Fassung der EML auch für Länder mit hohem Einkommen

Am 26.7.2023 wurde die 23. Fassung der EML veröffentlicht. Historisch gesehen waren die USA eine konsequente Gegnerin des Konzepts der lebenswichtigen Arzneimittel, sie galten ihnen als zu „links“. In den bisherigen Listen unentbehrlicher Arzneimittel waren daher vor allem Medikamente, die den Gesundheitsbedürfnissen des globalen Südens entsprachen. Dies hat sich nun geändert: US-Präsident Biden hat am 6.8.2020 eine Durchführungsverordnung erlassen, in der er die US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA) anwies, eine Liste unentbehrlicher Arzneimittel zu erstellen, die die USA einschließt. In die 23. Fassung der EML wurden daher gezielt auch Medikamente aufgenommen, die den Gesundheitsbedürfnissen aus Ländern mit hohem Einkommen entsprechen. Für die Aktualisierung 2023 prüfte ein Sachverständigenausschuss der WHO die Auswahl und Verwendung unentbehrlicher Arzneimittel mit 85 Anträgen. Mit den empfohlenen Änderungen erhöht sich die Gesamtzahl der Arzneimittel in der EML auf nun insgesamt 502.

Arzneimittel gegen MS in der Liste unentbehrlicher Medikamente

Erstmals wurden in die EML auch Arzneistoffe zur Behandlung der Multiplen Sklerose aufgenommen. Damit wurde eine wichtige Lücke angesichts der großen globalen Gesundheitsbelastung durch MS geschlossen. Die Aufnahme dieser MS-Medikamente in die Liste der Behandlungsoptionen für MS zielt darauf ab, den Zugang zu Behandlungen für die ca. 2,8 Mio. Menschen mit MS auf der ganzen Welt zu erleichtern. Folgende Medikamente wurden aufgenommen:

  • Cladribin ist ein immunmodulierendes Medikament, das in Tablettenform zur Behandlung von schubförmiger MS (RRMS) und schubförmig-remittierender MS (SPMS) verwendet wird.
  • Glatirameracetat wirkt ebenfalls immunmodulierend und wird zur Behandlung von RRMS eingesetzt.
  • Rituximab ist ein Medikament, das ursprünglich zur Behandlung von Krebserkrankungen entwickelt wurde. Aber es wird auch – obwohl es nicht dafür zugelassen ist –Off-Label gegen Autoimmunerkrankungen wie MS eingesetzt und wirkt als Immunsuppressivum. Die Entscheidung der WHO, den Off-Label-Einsatz von Rituximab zu unterstützen, stützt sich auf überzeugende Beweise für dessen Wirksamkeit und Sicherheit. Angesichts der Evidenzbasis und der zunehmenden Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit von Rituximab wurde es als wesentliches Arzneimittel zur Behandlung der schubförmigen und progredienten MS eingestuft, begründet die WHO die Entscheidung.

Nicht nur Medikamente gegen MS

Auf der Liste sind wichtige alte und neue Arzneimittel gegen Krebs, Diabetes, Infektionen mit multiresistenten Bakterien, chronische Hepatitis-C-Virusinfektionen bei Erwachsenen, psychische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und viele andere. Aber auch neue Medikamente gegen Krankheiten, die vornehmlich arme Bevölkerungsteile betreffen (wie etwa Antikörper zur Behandlung von Ebola) haben es auf die Liste geschafft.
Ziel ist, die Durchführbarkeit der Behandlung in ressourcenarmen Umgebungen zu gewährleisten. Ziel der aktualisierten Modellliste ist es im Besonderen, den Zugang zu innovativen Arzneimitteln mit klinischem Nutzen zu erleichtern. Patentierte, hochpreisige Krebsmedikamente wurden deshalb nicht zur Aufnahme empfohlen, da Bedenken hinsichtlich der Ressourcenorientierung bestanden und daher die Durchführbarkeit nicht gewährleistet ist – so fordert die WHO auch immer wieder Alternativen zum Patentschutz für bestimmte Medikamente.

Haben Sie weitere Fragen? Dann rufen Sie mich gerne zu meinen Telefonsprechstunden am Dienstag zwischen 10:00–12:00 Uhr und am Donnerstag zwischen 14:00–16:00 Uhr unter 0157 35469070 an.

Ihre
Christiane Fischer

Quellen