Wie notwendig ist die Beachtung der Dead-Donor-Rule bei Organentnahmen?
Christiane Fischer, Blickpunkt-Ausgabe 02/2024
Im Rahmen des verständlichen Anliegens, mehr Organspenden zu ermöglichen, wird auch immer wieder versucht, die Transplantationsregeln aufzuweichen. Dieses Vorgehen muss aber infrage gestellt werden, da die Aufgabe der sogenannten Dead-Donor-Rule (DDR) Transplantationen für Ärzt*innen unmöglich machen würde.
Die Dead-Donor-Rule
Damit Organe gespendet werden können, muss zunächst die Zustimmung der Spender*innen vorliegen. Die Entnahme und Transplantation muss anschließend von speziell ausgebildeten Ärzt*innen durchgeführt werden. Diese sind dabei strikt an die sogenannte Dead-Donor-Rule gebunden. Diese im deutschen Recht der Transplantationsmedizin geltende Regel besagt, dass – abgesehen von dem an besondere Voraussetzungen gebundenen Fall der Lebendspende (etwa der Niere oder Teilen der Leber) – Spender*innen bei der Organentnahme tot sein müssen, sie also nicht durch oder für eine Organentnahme sterben dürfen. Da der irreversible Hirnfunktionsausfall (IHA, ehemals „Hirntod“, Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms) als einzig sicheres Indiz für den Tod eines Menschen angesehen wird, dürfen Entnahmen in Deutschland auch nur bei gesichert Hirntoten durchgeführt werden bzw. Transplantationen in Deutschland nur dann erfolgen, wenn das Organ gemäß den deutschen Vorschriften entnommen wurde.
Die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens (das Verbot zur Tötung beziehungsweise Beihilfe zur Tötung von geborenem wie ungeborenem Leben) begründet ärztliches Handeln und ethisches Verständnis zugleich. Um die Redlichkeit eines Arztes zu verbürgen, wurde in der Antike dazu der Hippokratische Eid formuliert, der etwa das Wohl der Patient*innen, die Schadensvermeidung, eine ärztliche Schweigepflicht, die Achtung der eigenen medizinischen Kompetenzen, das Nicht-Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen oder die Übernahme einer ärztlichen Verantwortung für die Lebensführung ins Zentrum stellte.
Ärzt*innen werden zwar nicht auf den Eid des Hippokrates eingeschworen, doch die Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes versteht sich als moderne Übertragung des Eids des Hippokrates auf die heutige Zeit, die das ärztliche Ethos begründet. In diesem Rahmen ist die ärztliche Position (die auch die Bundesärztekammer BÄK sowie die relevanten medizinischen Fachverbände vertreten) zu verstehen, dass Spender*innen gesichert „hirntot“ sein müssen und eine anderswo alternativ praktizierte Entnahme nach dem Herzstillstand (die sogenannte Non-Heart-Beating-Donation), also eine Entnahme nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand ohne eine Feststellung des IHA, abzulehnen ist, da „herztote“ Menschen unter Umständen wiederbelebt werden können. Die Feststellung des IHA ist also eine zwingende Grundvoraussetzung für eine ärztliche Beteiligung an der Transplantationsmedizin.
Klare Vorgaben
Auf dem 110. Ärztetag 2007 wurde dazu einstimmig beschlossen:
„…Dazu zählen beispielsweise medizinisch klare Vorgaben zur Hirntodfeststellung als Voraussetzung für die postmortale Organspende. Abzulehnen ist und bleibt deshalb auch die Organentnahme nach Todesfeststellung allein durch Herzstillstand (so genannte non heart-beating donor). Die Bundesärztekammer hat ihre Ablehnung mehrfach begründet. Diese hat weiterhin Bestand: Die sichere Todesfeststellung gehört zu den Grundvoraussetzungen der postmortalen Organspende. Der bloße Herzstillstand ist kein sicheres Todeszeichen. Dies belegt jede auch nur vorübergehend erfolgreiche Reanimation. Organe dürfen nur nach einer klar definierten, weithin akzeptierten Feststellung des Todes entnommen werden; diese ist die Feststellung des Hirntods.“
Die Todesfeststellung erfolgt in Deutschland durch einen Arzt oder eine Ärztin, der/die den Totenschein ausstellt. Nur wenn dieser Totenschein vorliegt (und die Todesursache eindeutig ist), darf der/die Tote beerdigt bzw. explantiert werden. Die Ausstellung eines Totenscheins erfordert ein sicheres Todeszeichen – nicht ein mögliches und auch nicht ein vermutliches. Neben Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis und mit dem Leben unvereinbaren Verletzungen (wie z. B. Abtrennung des Kopfs vom Rumpf) zählt der IHA laut Totenschein zu den sicheren Todeszeichen.
Verstirbt der Betroffene im Krankenhaus, müssen zwei Fachärzt*innen, die nicht an der Entnahme oder Übertragung der Organe beteiligt sind, unabhängig voneinander den IHA feststellen. Diese sogenannte Hirntoddiagnostik folgt klaren Regeln, die in einer Richtlinie der BÄK definiert sind. Eine kurze Zeit lang ist es dann möglich, das Herz-Kreislauf-System der Verstorbenen künstlich aufrechtzuerhalten. In dieser Zeit können die Organe weiterhin durchblutet und dann transplantiert werden.
Wären „Hirntote“ noch lebende Patient*innen, wäre eine Entnahme lebenswichtiger Organe eine Organentnahme von Lebenden mit Todesfolge der Spender*innen.
Die Non-Heart-Beating-Donation
Die große Mehrheit der Ärzt*innen, der ärztlichen Fachverbände, der Transplantationsgesellschaften sowie die Bundesärztekammer sehen sich der Dead-Donor-Rule verpflichtet – ein Abweichen davon gilt für sie als unvereinbar mit dem ärztlichen Berufsethos. Andere, die die oben erwähnte Non-Heart-Beating-Donation im Rahmen eines Weiterbestehens der Transplantationsmedizin befürworten, verweisen dazu auf den Begriff des Nicht-Schadens. Der Herztod, so argumentieren sie, führe unausweichlich zum Hirntod und beinhalte keinen Schaden für die betroffenen Patient*innen.
Ziel der Frage, ob der IHA als Entnahmekriterium um den Herztod ergänzt werden soll, ist es, die Anzahl potenzieller Organspenden zu erhöhen. In Spanien, den Niederlanden oder Großbritannien wird das bereits praktiziert. Hier kommen alle Patient*innen mit einem Herzstillstand nach einer willkürlich festgelegten Zeit (zwischen 5 und 30 min) als Organspender*innen infrage. Durch den Herz‐ und Kreislaufstillstand (ohne Reanimationsbemühungen), so wird hier argumentiert, komme es zu einer Unterbrechung der Durchblutung des Gehirns und dadurch schließlich zum Hirntod.
Unklar bleibt allerdings, wie die Dauer des Herzstillstands als Todeskriterium eindeutig bestimmt werden kann. Auch wenn sich nach einem mindestens 10-minütigen Herz‐ und Kreislaufstillstand (ohne Reanimationsbemühungen) klinische Ausfallsymptome nachweisen lassen, lässt sich nicht sicher beweisen, dass zu diesem Zeitpunkt die Gesamtfunktion des Gehirns irreversibel zerstört ist. Diese Irreversibilität ist aber die Voraussetzung für die Todesfeststellung mittels Gesamthirntodnachweis. Die Non-Heart-Beating-Donation kann also nicht als Äquivalent herangezogen werden.
Fazit
Als Quintessenz kann festgehalten werden, dass die Aufgabe der Dead-Donor-Rule zugunsten einer Non-Heart-Beating-Donation Transplantationen im Sinne des ärztlichen Ethos unmöglich machen würde. Da nur Ärzt*innen eine Transplantation durchführen können, ist die Dead-Donor-Rule somit entsprechend eine notwendige Bedingung für die Weiterführung der Transplantationsmedizin.
Quellen
- Bundesärztekammer 2007. Beschluss des 110. Ärztetages: Ethische Aspekte der Organ- und Transplantationsmedizin, abrufbar im Internet unter www.bundesaerztekammer.de/arzt2007/media/Beschlussprotokoll_2007.pdf (letzter Zugriff 28.3.2024).
- Iltis, A.S./Cherry, M.J. 9.5.2010. Death revisited: rethinking death and the dead donor rule, abrufbar im Internet unter www.pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20457616/ (letzter Zugriff 28.3.2024).
- Rand, A. et al. 2022. Organspende – Nicht nur eine intensivmedizinische Aufgabe, abrufbar im Internet unter www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8647959/ (letzter Zugriff 28.3.2024).
Weiller, C. et al. 21.3.2014. Stellungnahme zur Feststellung des Hirntodes vor Organentnahmen, abrufbar im Internet unter www.dgni.de/images/Stellungnahme_Hirntod_DGN_DGNC_DGNI.pdf (letzter Zugriff 9.4.2024).