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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Komplexe Ernährungs- und Stoffwechsel-Therapie

Olaf Hebener

Begründung einer komplexen Ernährungstherapie zur Verminderung entzündlicher Reaktionen bei Multipler Sklerose

Die Multiple Sklerose gilt als unheilbare Erkrankung unbekannter Ätiologie. Unterschiedlichste Forschungsergebnisse belegen in immer deutlicherer Weise, daß im Zentrum der vielgestaltigen Krankheitsmechanismen eine Insuffizienz der Blut-Hirn-Schranke der Schädigung myelinisierter Nervenfasern im Zentralnervensystem zwingend vorausgeht.

Infolge des Zusammenbruchs der Blut-Hirn-Schranke entstehen perivasale entzündliche Infiltrate, wobei nicht alle Infiltrate Herdbildungen nach sich ziehen. Als einer der wichtigen "Kofaktoren" ist das lokale Hirnödem mit entsprechenden Drucksteigerungen und resultierender hypoxischer Stoffwechsellage in den betroffenen Abschnitten bedeutsam (gemäß neuropathologischen Befunden tritt Myelinpathologie mit typischen Merkmalen einer frühen MS-Läsion auch ohne das Vorhandensein von Entzündungszellen auf - s. dazu JÄNISCH- Neuropathologie, Gustav Fischer Verlag Stuttgart, 1990). In der Pathogenese der Erkrankung haben die Endothelzellen der ZNS-Blutgefäße eine zentrale, wenn nicht entscheidende Bedeutung bei der Einleitung der Blut-HirnSchranken-Insuffizienz und dem folgenden immunologisch vermittelten Schädigungsprozeß. Im Entzündungsmuster der MS sind somit zwei Reaktionskomplexe zu unterscheiden: 1. unspezifische ("Akuzphasereaktion") und 2. immunologische Mechanismen mit besonderer Betonung der spezifischen zellulären Immunantwort (Bis vor kurzem schrieb man dabei T-Lymphozyten, die gegen bestimmte Aminosäuresequenzen des Myelin Basischen Proteins (MBP) geprägt sind, eine entscheidende Bedeutung bei der Zerstörung der Markscheiden zu. SÖDERSTRÖM et al.(Acta Neurol. Scand. 90, S. 10 - 18,1994) konnten zeigen, daß im Verlauf der MS selbst antigendominante MBP-Epitope quantitativen und qualitativen Veränderungen bis hin zum Epitopwechsel in der dominanten T-Zell-Reaktion unterliegen, wobei keinerlei Gesetzmäßigkeiten bezüglich aktiver oder inaktiver Krankheitsphasen auszumachen waren.

Bei der komplexen Ernährungstherapie handelt es sich um eine unspezifisch-entzündungshemmende Therapie, durch die der Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke verhindert werden soll. Zu diesem Zweck halten die Patienten eine linolsäurearme Diät ein, die zu einer Verminderung der verfügbaren Arachidonsäure führt und dadurch die Reaktionen auf entzündliche Ursachen vermindert. Die Schädigung des ZNS bei MS wird über entzündliche Mediatoren der Arachidonsäurekaskade ( insbesondere TxA2, PgE2 und LTB4, C4 usw.), Sauerstoffradiakale (vornehmlich durch hyperaktivierte Makrophagen) sowie Zytokine, welche die spezifische Immunabwehr aktivieren (TNF-alpha, Lymphotoxin TNF-beta, IFN-gamma) vermittelt.

Begründung

MS-Patienten weisen im Blut und Liquor cerebrospinalis erniedrigte Konzentrationen ungesättigter Fettsäuren auf Besonders stark ist das bei der Linol- und Arachidonsäure ausgeprägt sowie den noch höher ungesättigten sog. Omega-3-Fettsäuren. Resorptionsversuche zeigten eine normale Linolsäureaufnahme (NEU; Acta Neurol.Scand., 67, S. 151-163, 1983). Lipidchemische Untersuchungen an der intakten weißen Substanz von Patienten, die an MS verstorben waren, wiesen ähnliche Veränderungen wie im Blut und Liquor auf (NEU und WOELK, Neurochem. Research 6, S.727-735,1982). Somit kann keine Aufnahme- und Verwertungsstörung essentieller Fettsäuren bei MS-Kranken vorliegen, vielmehr könnte ein erhöhter Verbrauch Ursache des scheinbaren Defizits sein, Aus der Linolsäure wird unter Entzündungsbedingungen im Organismus Arachidonsäure synthetisiert. Das im Schub festgestellte Defizit an Linol- und Arachidonsäure bei MS-Patient könnte somit direkte Folge des entzündlichen Prozesses sein. Damit handelt es sich wahrscheinlich um einen Selbstschutzmechanismus zur Limitierung des Entzündungsvorganges (NEU; Vitaminspur 3, 1992).

Vor allem im Schub weisen die Thrombozyten von MS-Kranken eine spontane Aggregationsneigung auf Gibt man in vitro den Thrombozyten von MS-Patienten enzephaöitogene MBP-Peptidehinzu, so wird die Thrombozytenaggregation verstärkt (PROSIEGEL und NEU, Europ.Neurol 22, S. 389-391,1983). Durch das Zusammenwirken von Thrombozyten und Neutrophilen werden Leukotriene freigesetzt. NEU et al.(Münch.med.Wschr.-1 130, S.80-81,1988-1 Multiple Sclerosis Research. Amsterdam: Elsevier, S.293-298, 1991) untersuchten die Leukotrienkonzentration im Liquor cerebrospinalis von MS-Patienten und fanden sie während des Schubes erhöht. Demgegenüber wiesen Granulozyten- bzw. Granulozyten-Thrombozytensuspensionen eine verminderte Freisetzung des chemotaktischen LTB4 sowie des gefäßpermeabilitätssteigernden LTC4 auf (MERILL et al.-J.Clin.Immunol.; 9, S.84-96, 1989). Die verminderte Freisetzung dieser Substanzen interpretiert NEU (1992) als Folge der permanenten Stimulation, wodurch sich der intrazelluläre Gehalt an Leukotrien erschöpft. Die erhöht gefundene Konzentration von LTB4 und LTC4 im Liquor cerebrospinalis während des akuten Schuhes bei MS-Kranken ist dagegen als Folge der akuten Entzündung zu betrachten.

SHARIEF et al.(N.Engl.J.Med., 325, S.467-472, 1991) untersuchten die Blut- und Serumkozentrationen von TNF-alpha bei MS-Patienten. Bei 53% der chronisch-progredienten Patienten waren die Liquorkonzentrationen massiv erhöht, wobei die Serumkonzentrationen deutlich niedriger gefunden wurden. Bei diesen Patienten korrelierte die TNF-alpha-Konzentration direkt mit dem Grad der Behinderung bzw. der Progressionsrate. Inzwischen wurde die hervorragende Bedeutung von TNF-alpha in der Pathogenese der MS mehrfach bestätigt.

Neben der Diät gewährleistet erst die Zufuhr weiterer Substanzen die Tragfähigkeit der Ernährungstherapie.

Lachsöl

Über die Zufuhr hochungesättigter Omega-3-Fettsäuren maritimen Ursprungs werden folgende Effekte erzielt- Bei der Freisetzung der 6-fach ungesättigten Docosahexaensäure (DHA) aus Zellmembranen entstehen keine Entzündungsmediatoren, da die Umwandlung durch Cyclo- bzw. Lipoxygenase nicht möglich ist. Bei der Freisetzung der Eicosapentaensäure (EPA) entstehen z.B. TxA3, PgE3 sowie Leukotriene der 5-er Reihe, die im Gegensatz zu Arachldonsäuremetaboliten geringe biologische Aktivität bzw. antagonistische Wirkungen aufweisen ("Pathophysiologie des Menschen", Hrsg. Hierholzer/Schmidt, VCH Verlagsgesellschaft, S. 38.5, 199 1). Darüber hinaus gilt EPA als einer der stärksten TNF-alpha-Inhibitoren.

Das Argument die therapeutisch notwendigen Omega-3-Fettsäuren könnten auch mit zwei Fischmahlzeiten pro Woche zugeführt werden, ist widersinnig. Die Versorgung mit der entsprechenden Menge muß täglich erfolgen. Dies ist über die Nahrung weder zumut- noch vertretbar, da bei einer solch einseitigen Ernährung zwangsläufig gravierende Veränderungen im Fettstoffwechsel und nichtkalkulierbare Schadstoffbelastungen in Kauf genommen werden, sowie wegen der unvermeidbaren Zufuhr unerwünschter Fettsäuren die Diät praktisch undurchführbar wird. Bei einer empfohlenen Versorgung von 2000 mg Omega-3-Fettsäuren pro Tag ist die Zahl der verfügbaren Präparate unter Berücksichtigung der Patientencompliance (Zahl der Kapseln pro Tag), Produktqualität (Schadstoffarmut und Oxydationsschutz) sowie Aspekten der Wirtschaftlichkeit (Kosten pro Tag) stark eingegrenzt. Insbesondere sind die als Arzneimittel zugelassenen Fischölpräparate unter den genannten Rahmenbedingungen ungeeignet und deshalb nicht zu empfehlen.

In einer britischen Doppelblindstudie mit 290 MS-Patienten wurde trotz des gravierenden Makels fehlender Diätempfehlungen ein statistisch positiver Trend zugunsten einer Diät mit Omega-3Fettsäuren festgestellt (BATES et al.; J. Neurol.Neurosurg.Psychiatr.-, 52, S. 18-22, 1989).

Selen

Das wichtigste endogene Abwehrsystem gegen Sauerstoffradikale sind Glutathionperoxidasen. Bei der Synthese eines Enzymmoleküls werden vier Atome Selen benötigt. Daraus folgt, daß bei Entzündungsreaktionen infolge des Selenverbrauchs auch ein Mangel auftreten kann, der unter physiologischen Bedingungen nur selten und nur in wenigen Regionen der Welt anzutreffen ist. Dieser Selenmangel wurde von Fratzer bei MS-Patienten nachgewiesen (Vitaminspur 1, S. 28-32, 1992). Außerdem konnte gezeigt werden, daß eine längerfristige Selensupplementierung sowohl den Selenspiegel als auch die Peroxidaseaktivität anhebt (Lit. Bei SIEVERS et al: Dtsch.Ärzteblatt 91, Heft 44, A-3032-3036,1994).

Vitamin E

Eine Gabe von d-alpha-Tocopherol als Antioxidans und Membranstabilisator ist bereits wegen der verabreichten Omega-3-Fettsäuren unerläßlich (FRATZER und HEBENER; Vitaminspur 3, S. 136-141, 1993).

Insbesondere dient die DHA als "Membranschlepper von Vitamin E", wodurch ein zusätzlicher Schutz der Membranen gegen Sauerstoffradikale resultiert. Außerdem vermag Vitamin E:

die Aktivität Vitamin E-abhängiger Enzyme zu verändern (der hemmende Einfluß auf Phospholipase A2 ist gesichert- DOUGLAS et al.; Biochem.Biophys.Acta; 876, S.639-645, 1986)
eine Protektion beim experimentellen Hirnödem zu vermitteln (BUSTO et al. Ann.Neurol. 15, S.441-448, 1984)
über die Veränderung der Erythrozytenfluldität die Rheologie und damit die Sauerstoffversorgung zu verbessern (ERNST und MATRAI, Therapiewoche, 35, S.5701-5702,1985).

Die Praxis, Vitamin E nur dann als Kassenleistung anzuerkennen, wenn ein Vitamin E-Mangel nachgewiesen wurde, muß entschieden kritisiert werden. Untersuchungen an Patienten des rheumatischen Formenenkreises haben ergeben, daß erst bei einer Auswertung sehr großer Fallzahlen mit chronischer Polyarthritis ein signifikanter Abfall des Vitamin-E-Plasmaspiegels von 30% gegenüber gesunden Kontrollpersonen nachgewiesen werden konnte. Im Gegensatz dazu weist die Synovialflüssigkeit entzündeter Gelenke eine um den Faktor 5 erniedrigte Konzentration gegenüber Blutplasma auf (ausführliche Literatur bei MIEHLKE, "Der freie Arzt"; 10, 1994).

Schlußfolgerung

Bei chronisch entzündlichen Prozessen kommt es infolge des relativ langsamen Transportes der lipophilen Substanz Vitamin E zu einem lokalen Vitamin-E-Mangel, wobei in Zellmembranen das Vitamin E aufgrund seiner Fettlöslichkeit das einzige natürliche Antioxidans ist. In hoher Dosierung ist Vitamin E eindeutig ein entzündungshemmendes Mittel.

Dr. med. Olaf Hebener
MS-Therapiezentrum
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Tel.: 06243-6083 oder 6084
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