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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Virusinfektionen im Jugendalter als Mitauslöser der MS? - Externe Krankheitsursachen im Fokus

Red., Blickpunkt-Ausgabe 03/2019

Auf der Suche nach den bestimmenden Krankheitsursachen der Multiplen Sklerose rücken externe, von außen eingebrachte Faktoren – und da besonders Infektionen –wieder zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit. Einem Forschungsteam der Universität Genf (UNIGE) und des Hôpitaux universitaires de Genève (HUG) ist nun im Mausmodell und am Menschen der Nachweis gelungen, dass eine Virusinfektion im Jugendalter die spätere Entstehung der Multiplen Sklerose mit begünstigt.

Viren als mögliche Auslöser der MS

Epidemiologische Studien (also Studien, die sich mit geografischen, sozioökonomischen, genetischen oder anderen Bedingungen befassen, die Auswirkungen auf die Gesundheit von ganzen Bevölkerungsgruppen haben) der letzten Jahre weisen darauf hin, dass von außen eingebrachte Infektionen die Entstehung von Multipler Sklerose begünstigen könnten. Die Möglichkeit, dass Viren diese Infektionen ausgelöst haben, wird mit dem Nachweis von bestimmten Proteinen in der Rückenmarksflüssigkeit von MS-Betroffenen begründet, die sich als Reaktion auf ein Entzündungsgeschehen durch eine Virusinfektion bilden. Welche Viren dafür allerdings genau verantwortlich sind, wird kontrovers diskutiert und ist bis heute nicht geklärt.

Das Infektionsalter als Bezugspunkt

Aufbauend auf der Hypothese, dass eine durchlaufene Infektionskrankheit vor dem 20. Lebensjahr (also vor der abschließenden Entwicklung des Gehirns mit etwa 21 Jahren) als Auslöser der MS in Frage kommen könnte, verglich ein Forschungsteam der Universität Genf und des Hôpitaux universitaires de Genève um Professor Karin Steinbach die Reaktion auf eine Virusinfektion zunächst bei jungen und älteren Mäusen. Beide Versuchsgruppen zeigten hier eine ähnliche, gut kontrollierte antivirale Immunantwort. In einem zweiten Schritt, nachdem die jüngeren Mäuse entsprechend gealtert waren, wurden beiden Gruppen nun Myelin-spezifische CD4+ T-Helferzellen (sogenannte selbstreaktive T-Zellen) zugeführt, von denen man annimmt, dass diese im Krankheitsgeschehen der Multiplen Sklerose eine wichtige Rolle spielen.
Bei der Gruppe, die die Virusinfektion im Erwachsenenalter durchlaufen hatte, richteten die Zellen keine Schäden an, während sie bei der Gruppe der jüngeren Mäuse nun eine klare Reaktion auslöste.

„Erinnerungsmarker“ im Gehirn begünstigen das Entzündungsgeschehen

Die Zellen gelangten dabei ins Gehirn und begannen dort, die Struktur so anzugreifen, dass die bekannten Läsionen entstanden – interessanterweise genau in den Bereichen, in denen lange zuvor das Infektionsgeschehen stattgefunden hatte, so als hätte die frühere Infektion, vom Immunsystem zu diesem Zeitpunkt gut kontrolliert, eine Art entzündlichen Fußabdruck, einen „Erinnerungsmarker“ hinterlassen, der die Läsionsbildung zu einem späteren Zeitpunkt begünstigen konnte.
Bei näherer Betrachtung zeigte sich dann auch eine Ansammlung sogenannter „brain-resident memory T-cells“, also T-Zellen, die sich entgegen ihrer sonstigen großflächigen Ausbreitung und Arbeitsweise spezifisch und dauerhaft in den Gehirnarealen aufhielten, in denen die Virusinfektion zuvor stattgefunden hatte.

CC-Chemokin-Ligand 5 (CCL5) als Signalgeber

Diese hirnresidenten Zellen produzierten demnach das Zytokin CC-Chemokin-Ligand 5 (CCL5), ein regulatorisches Protein, das sowohl bei der Signalübertragung zwischen Zellen im Entzündungsgeschehen als auch bei der Abwehr von bestimmten Viren eine wichtige Rolle spielt. CCL5 zog die eingebrachten selbstreaktiven Zellen im Versuch förmlich an, was wiederum eine Autoimmunreaktion auslöste. Wurden diese Signale vom Forschungsteam aber entsprechend blockiert, entstanden bei den Mäusen auch keine Hirnläsionen.

Ähnliche Prozesse auch bei MS-Betroffenen

In einem dritten Schritt ließ sich eine ähnliche Ansammlung dieser besonderen T-Zellen sowie das produzierte Molekül auch in MS-Patienten nachweisen. Kurzzeitige virale Infektionen in einem kritischen Zeitfenster im Leben, so die wichtige Erkenntnis dieser Studie, können demnach bleibende Eindrücke im Immungeschehen hinterlassen und eine lange nachwirkende förderliche Umgebung für autoimmune Reaktionen in späteren Lebensabschnitten schaffen. Diese Erkenntnis ermöglicht eine weitere Ursachenforschung im Kindes- und Jugendalter, um Wechselwirkungen von verschiedenen Faktoren besser verstehen und geeignete Gegenstrategien und Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können. Die Ergebnisse dieser Studie veröffentlichte das Forschungsteam in der Juniausgabe der Fachzeitschrift Science Translational Medicine. (Red.)

Quellen