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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Bedeutung der Patientenverfügung in Corona-Zeiten

Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 01/2021

Viele Menschen haben bereits eine Patientenverfügung, ebenso viele tragen sich mit dem Gedanken, eine solche Verfügung zu erstellen, haben es aber noch nicht getan. Besteht jetzt in der Pandemie-Situation Handlungsbedarf? Müssen bestehende Patientenverfügungen wegen Corona angepasst werden? Viele Menschen sind verunsichert

Worum geht es?

Für die Beantwortung der Fragen muss zunächst betrachtet werden, worum es bei einer Patientenverfügung überhaupt geht. Wichtig ist, dass es bei der Patientenverfügung um eine höchstpersönliche Entscheidung geht, niemand dazu verpflichtet ist oder verpflichtet werden kann und immer nur die eigenen Wünsche und Vorstellungen maßgeblich sind.

Grundsatz

Jeder Mensch hat das Recht, in seinen persönlichen Angelegenheiten für den Fall vorzusorgen, dass er geschäfts- und/oder einwilligungsunfähig wird. Das kann bspw. infolge hohen Alters oder wegen einer Krankheit sein. In rechtlicher Hinsicht bieten sich dafür verschiedene Möglichkeiten an, nämlich eine Betreuungsverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung.

  • •Wenn ein Mensch bspw. infolge einer Krankheit seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen kann, muss über das Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt werden, der die Angelegenheiten für ihn regelt. Dem kann mit einer Betreuungsverfügung vorgebeugt werden. Das ist eine für das Betreuungsgericht bestimmte Willensäußerung einer Person, die konkret für den Fall der Anordnung einer Betreuung abgegeben wird.
  • Demgegenüber wird mit der Vorsorgevollmacht eine Vertrauensperson für bestimmte Bereiche, z. B. für die gesundheitlichen Angelegenheiten, bevollmächtigt. Der Bevollmächtigte wird zum Vertreter des Willens, d. h. er verschafft dem Willen des aktuell nicht mehr einwilligungsfähigen Vollmachtgebers Ausdruck und Geltung.
  • Mit der Patientenverfügung wird von einem Volljährigen für den Fall der Geschäfts- und/oder Einwilligungsunfähigkeit Vorsorge für die medizinische Behandlung getroffen. Mit ihr soll sichergestellt werden, dass der Mensch in einer Extremsituation seinem Willen entsprechend behandelt wird. Von ihm wird schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Der Betreuer oder Bevollmächtigte prüft, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist das der Fall, sind der Arzt wie auch die Pflegekräfte daran gebunden.

Passgenaue Patientenverfügung

Viele Menschen sprechen darüber, was „im Fall der Fälle“ geschehen soll, haben aber keine Patientenverfügung verfasst. Ebenso haben Jugendliche ihre Vorstellungen, können mangels Volljährigkeit aber keine Patientenverfügung machen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinen Entscheidungen vielfach klargestellt, dass wenn eine passgenaue Patientenverfügung vorliegt, kein Betreuer durch das Gericht bestellt werden muss.

Wenn in einer Patientenverfügung klar beschrieben ist, in welcher Situation bestimmte Behandlungen gewünscht oder abgelehnt werden, dann ist für den Bevollmächtigten oder als Betreuer eingesetzten Angehörigen sowie die behandelnden Ärzte Klarheit gegeben. Das gilt selbst bei schwerwiegenden Eingriffen oder der Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen.

In rechtlicher Hinsicht stellt die Patientenverfügung eine allgemein verbindliche, nicht genehmigungsbedürftige Willenserklärung des Betroffenen selbst dar. Sie ist für alle Beteiligten verbindlich. Der Bevollmächtigte muss nur noch dem Willen Ausdruck und Geltung verleihen, d. h. die Patientenverfügung in die Tat umsetzen.

COVID-19 und Beatmung

In der Patientenverfügung werden Festlegungen zu Einleitung, Umfang oder Beendigung bestimmter ärztlicher Maßnahmen getroffen. Dabei geht es z. B. um lebenserhaltende Maßnahmen, Maßnahmen zur Schmerz- und Symptombehandlung, künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, Dialyse, Antibiotikagabe und auch künstliche Beatmung.

Seit der COVID-19-Pandemie wird im Zusammenhang mit Corona-Infektionen viel über Beatmung, Beatmungsgeräte und mögliche Folgen einer längeren Beatmung gesprochen. Doch was, wenn in der Patientenverfügung die Beatmung abgelehnt wurde, sie wegen einer Corona-Infektion nun aber erforderlich wird? Stellt das eine andere Situation dar als die ursprünglich überlegte, die zur Ablehnung der Maßnahme geführt hat? Immerhin könnte ja die Beatmung dazu beitragen, wieder gesund zu werden.

Extremsituation

Wichtig ist zu bedenken, dass eine Patientenverfügung nur dann greift, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, selbst zu kommunizieren und die Prognose, wieder gesund zu werden, schlecht ist. Das ist bei Corona i. d. R. wohl nicht der Fall. Was ist aber, wenn intensivmedizinische Maßnahmen abgelehnt werden? Mediziner berichten in der Presse von ihrer Erfahrung, dass viele Senioren und auch chronisch Kranke nicht mehr ins Krankenhaus gebracht werden und auch nicht intensivmedizinisch behandelt werden wollen. Belegbare Zahlen gibt es dazu wohl noch nicht.

Corona-Passus

Ohnehin ist es ratsam, die eigene Patientenverfügung in regelmäßigen Abständen auf ihre Aktualität hin zu überprüfen. Lebenssituationen können sich ändern, wodurch sich auch eine Änderung der eigenen Einstellung zu medizinischen Maßnahmen ergeben kann.

Wer aktuell Bedenken wegen der Formulierung seiner Patientenverfügung hat, sollte sie kritisch durchsehen und gegebenenfalls auch ändern. Wenn der Wunsch besteht, die Patientenverfügung zu ergänzen, kann ihr ein konkreter Passus für den Fall einer Erkrankung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hinzugefügt werden.
Sowohl bei der Änderung der Patientenverfügung als auch bei der Ergänzung ist ganz wichtig, in der Patientenverfügung möglichst konkret zu beschreiben, in welchen Behandlungssituationen sie gelten soll. Unerlässlich ist es darzustellen, welche auf diese Situation bezogenen Behandlungswünsche bestehen, d. h. z. B. die Durchführung oder die Ablehnung bestimmter Maßnahmen wie die künstliche Ernährung/Beatmung oder Flüssigkeitszufuhr etc. Das gilt in jedem Fall, d. h. auch dann, wenn „lebenserhaltende Maßnahmen vorgenommen“ werden sollen, als auch – wie gelegentlich in Patientenverfügungen zu lesen ist –, „alle lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen werden“ sollen.

Gerade auch im Hinblick auf die mit der COVID-19-Pandemie verbundenen Gesundheitsrisiken ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der persönlichen Lebenssituation, dem möglichen Erkrankungsverlauf und dem in diesem Fall gewollten medizinischen Vorgehen im Zusammenhang mit einer Patientenverfügung unerlässlich.

Fachkundige Beratung

Sich mit der eigenen Gesundheit zu befassen, das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs zu beurteilen und das in dem jeweiligen Fall Gewollte herauszufinden, ist eine Herausforderung. Wer sich damit befassen möchte, braucht fachliche Unterstützung. Zu den wesentlichen medizinischen Fragen, die im Zusammenhang mit der Patientenverfügung entstehen, sollte man sich von einem Arzt oder einer anderen fachkundigen Person oder Organisation beraten lassen. Es ist wichtig, sich selbst Klarheit über das Gewollte zu verschaffen und Wertungswidersprüche zwischen einzelnen Äußerungen und Festlegungen zu vermeiden, um so zu einer passgenauen Patientenverfügung zu gelangen. Das ist das Ziel.