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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Kostenfreie Apps als Hilfsmittel im Berufs- und Alltagsleben : Unterstützung und Ausgleich zu fehlenden barrierefreien Angeboten

Red., Blickpunkt-Ausgabe 03/2021

Anwendungen für mobile Endgeräte schaffen einen Ausgleich zu fehlenden barrierefreien Angeboten oder teuren Hilfsmitteln und ermöglichen so eine bessere Teilhabe im Berufs- und Alltagsleben. Neben den in den jeweiligen Betriebssystemen integrierten Unterstützungsfunktionen gibt es auch zahlreiche Apps, die echte Hilfen anbieten können. Eine Auswahl an kostenfreien Angeboten soll hier vorgestellt werden.

 Apps für mobile Endgeräte

Apps, also Anwendungen für mobile Endgeräte (meist Smartphone oder Tablet), die darauf ausgelegt sind, körperliche oder geistige Einschränkungen zu kompensieren, sind eine gute Ergänzung zu den vorinstallierten Funktionen der jeweiligen Geräte, können individuelle Bedarfe integrieren und oftmals teure Hilfsmittel im Berufs- und Alltagsleben ersetzen. Neben einer Vielzahl von kostenpflichtigen Angeboten, die man sich je nach Betriebssystem im jeweiligen Shop (für Apple der „App-Store“ und für Microsoft das „Google Play“) herunterladen kann, gibt es auch immer mehr gute kostenfreie Alternativen, von denen einige hier auszugsweise vorgestellt werden sollen.

Der hier bereitgestellte Barcode führt bei Android-Apps direkt zu einer Download-Möglichkeit in Google Play und bei iOS-Apps zu einer Vorschau, von der aus man sich zum App-Store begeben kann.

Für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen

Es gibt es eine Reihe von Apps, die die Sehkraft zumindest teilweise ersetzen und Blinden und Sehbehinderten damit den Alltag erleichtern möchten. Dazu gehören Anwendungen, die Inhalte auf dem Display vorlesen, Dokumente und Fotos übersetzen, die Umgebung beschreiben, Farben und Produkte erkennen oder navigieren:

Bei der App Seeing AI (Microsoft), die auf dem Betriebssystem iOS läuft, erkennt die Software (also künstliche Intelligenz, AI) Umgebung und Personen und beschreibt diese detailliert. Mit ihr kann man auch Barcodes scannen und Produkte erkennen, Geldscheine identifizieren, Texte vorlesen und Fotos auf dem Handy beschreiben lassen.

Die App Be My Eyes des gleichnamigen Entwicklers, die auf iOS und Android läuft, geht einen etwas anderen Weg. Hier wird eine globale Gemeinschaft aus Blinden, Sehbehinderten und sehenden Freiwilligen miteinander verknüpft. Mittels eines Live-Videoanrufs kann man sich hier bei vielen Aufgaben (etwa dem Finden heruntergefallener Gegenstände oder dem Beheben von Computerproblemen) von anderen in Echtzeit assistieren lassen.

EyeMusic (Quickcode Ltd.) ist die iOS-App zu einem gleichnamigen Projekt der Hebräischen Universität Jerusalem, das darauf ausgelegt ist, die Umgebung akustisch „sichtbar“ werden zu lassen. Eine Kamerabrille filmt dazu beständig die Umgebung, Objekte oder Personen und übersetzt deren Eigenschaften (etwa Haarfarbe oder Gesichtsausdruck einer Person) in Töne oder Musik. Durch diese Methode lassen sich Hirnregionen, die für das Sehen verantwortlich sind, auch bei blind geborenen Personen aktivieren.

Ein Allrounder in der Welt des öffentlichen Nahverkehrs ist die App Moovit (Moovit), die auf Android und iOS läuft. Bus- und Zugzeiten, Karten und Fahrpläne in Echtzeit sowie das Ansagen von Haltestellen sind nur einige ihrer Funktionen.

Für Gehörlose und hörbeeinträchtigte Menschen

Für Gehörlose und hörbeeinträchtigte Menschen gibt es Möglichkeiten, gesprochene Wörter in Schrift zu übertragen, Gespräche aufzuzeichnen, zusammenzufassen oder in Gebärdensprache anzuzeigen.

Dazu gehört die App Ava (Transcence) auf Android und iOS, die Gespräche in Echtzeit untertitelt, sodass auch Unterhaltungen mit mehreren Personen durch einen Chatverlauf sichtbar werden. 300 Minuten pro Monat sind bei der kostenlosen Basisvariante inklusive.

Eine unbegrenzt kostenfreie Alternative dazu ist die App Live Transcribe & Sound Notifications (Google) für Android, die zusätzlich zur Untertitelung noch über wichtige und eventuell gefährliche Geräusche informiert.

Der VerbaVoice-Webplayer mobile (Verba Voice) auf Android ist ein Online-Dolmetscherdienst, mit dem man Veranstaltungen mit eingeblendeten Gebärdensprachvideos oder Live-Texten folgen kann, während die App iSignIT (PLRI) eine Basiskommunikation in Gebärdensprache im Krankenhaus oder der Arztpraxis ermöglicht.

Für Menschen mit Sprachbeeinträchtigungen

Menschen mit Sprachbeeinträchtigungen – die etwa durch eine spastische Lähmung eine unklare Aussprache haben oder nur sehr langsam sprechen können – profitieren von Apps, die in unterschiedlichen Settings vordefinierte Aussagen vorsprechen, anzeigen oder den schnellen Zugriff auf Textbausteine und -phrasen ermöglichen.

Dazu gehört etwa Marlems Sprechassistent (Marlems), der zur schnelleren Kommunikation zwischen fremden Menschen gedacht ist und als Web-App ohne Internetanbindung auf allen Endgeräten funktioniert. Mit dieser Anwendung kann man Texte schreiben und speichern und die gespeicherten Texte je nach Situation vorsprechen lassen.

Ähnlich funktioniert die Anwendung Talk (Abast Multimedia) für Android, mit der man sich zusätzlich noch Webseiten und Texte in vielen Sprachen vorlesen lassen kann.

Grid Player (Sensory Software International) für iOS ermöglicht eine schnelle Kommunikation über Symbole oder den Zugriff auf Phrasen, Fragen, Wörter und Textbausteine.

Meine zweite Stimme (R. Kern) für Android ist von einem Betroffenen mit neurologischen Störungen entwickelt worden und erlaubt, vorab eingegebene Sätze sprechen oder bildfüllend anzeigen zu lassen und somit individuellen Bedürfnissen und Situationen Raum zu geben. 

Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen

Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist die Navigation zu barrierefreien Wegen, öffentlichen Plätzen, Gebäuden oder Toiletten unabdingbar.

Hier ist vor allem die Karten-App Wheelmap (Sozialheld*innen) für Android und iOS vom Team um Raúl Krauthausen zu nennen, mit der sich weltweit in 33 Sprachen die Barrierefreiheit verschiedener Einrichtungen über ein Ampelsystem (grün, orange, rot) abrufen und bewerten lässt.

Ein ähnliches Prinzip verfolgt die App Wheelguide (Wheelguide) für Android und iOS, wobei man hier noch die Gelegenheit zur Eingabe persönlicher Daten (etwa der Rollstuhlbreite oder einer Begleitperson) hat, um geeignete Wege noch individueller aussuchen zu können.

Speziell behindertengerechte Toiletten werden durch die App Toilet Finder (BETOMORROW) für iOS angezeigt.

Mit MyHandicap (Stiftung MyHandicap) für Android und iOS lassen sich Adressen nach Kategorien oder gemäß der Ausstattung suchen.

 

Dies und Das

Die drei Apps Ease Touch, Ease Mouse und Ease Joypad (Crea Software Systems) für Android erlauben ergänzend die Bedienung des Smartphones oder Tablets je nach Bedarf mit nur einem Finger, der Maus oder einem Joystick und helfen dabei, versehentliche Fehlbedienungen zu vermeiden.

Mit Google Notizen auf Android (sowie alternativ Notizen für iOS) kann man einen gesprochenen Text aufnehmen, der dann im Anschluss von der App geschrieben, gespeichert und als Sprachnachricht abgerufen wird.

Capito (CFS) für Android ermöglicht es, schwer verständliche Texte in verschiedene (einfachere) Sprachstufen (etwa Umgangssprache) umzuwandeln, sie sich in angepasstem Tempo vorlesen zu lassen und somit einen einfachen Zugang zu komplizierten Informationen zu erhalten. Das ist für Texte in sechs verschiedenen Sprachen möglich.

WayGuard (AXA) für iOS lässt sich dann einsetzen, wenn man sich auf dem Nachhauseweg unsicher fühlt. Ein Begleitschutz-Team im Hintergrund ermöglicht etwa ein Gespräch auf dem Weg und kann durch die Übermittlung der eigenen GPS-Daten im Notfall auch einen Notruf absetzen.

Und schließlich behält der REHADAT-Förderfinder (Institut der deutschen Wirtschaft) auf iOS für die Arbeitgeberseite Fördermöglichkeiten zur beruflichen Teilhabe im Blick, etwa in den Bereichen Neueinstellungen oder Ausbildung. Ergänzt wird das Angebot durch ein Lexikon mit vielen Begriffen aus dem Bereich der Rehabilitation.

Fazit

Apps für mobile Endgeräte stellen eine wichtige Ergänzung für Menschen mit Behinderung dar. Obwohl sich der Markt langsam wandelt, entstehen unterstützende Apps – vor allem die kostenfreien Angebote – nach wie vor häufig zunächst nur auf Initiative von Privatpersonen, Stiftungen oder wissenschaftlichen Projekten. Noch besser wäre es allerdings, wenn in Zukunft nicht nur bei der Entwicklung von Apps, sondern generell auch in allen Bereichen des Berufs- und Alltagslebens Barrierefreiheit als grundlegend begriffen würde.

Weitere Informationen

REHADAT, Apps als Hilfsmittel, abrufbar im Internet unter https://www.rehadat-hilfsmittel.de/de/produkte/kommunikation-information/telefonieren-sprechanlagen/smartphone/apps-als-hilfsmittel/.