Die Regeln der Zuzahlungsbefreiung
Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 04/2023
Im Krankenversicherungsrecht ist gesetzlich geregelt, dass Versicherte jedes Kalenderjahr Zuzahlungen zu leisten haben. Die Zuzahlung ist der Betrag, den die Krankenversicherung nicht übernimmt, den Versicherte also aus ihrem eigenen Portemonnaie zahlen müssen. Diese Zahlungsverpflichtung ist aber nicht unbegrenzt, sondern geht nur bis zur sogenannten Belastungsgrenze. Das – und wie die Belastungsgrenze zu ermitteln ist – steht in § 62 SGB V (Recht der gesetzlichen Krankenversicherung).
Wen betrifft es? Und für welche Leistung?
Zuzahlungen sind von Versicherten ab dem 18. Lebensjahr zu bestimmten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten. Die wichtigsten betreffen Arznei- und Verbandsmittel. Zuzahlungen sind auch zu leisten für
- Hilfsmittel, Heilmittel;
- stationäre Behandlung;
- häusliche Krankenpflege;
- Haushaltshilfe;
- Fahrtkosten.
Höchstgrenzen
Gerade für dauerhaft Erkrankte können sich die Zuzahlungen schnell summieren. Damit es nicht zu einer finanziell übermäßigen Belastung kommt, gibt es Höchstgrenzen für die zu leistenden Zuzahlungen. Das ist die sogenannte Belastungsgrenze, die individuell zu ermitteln ist. Sie errechnet sich aus der Summe aller Zuzahlungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Wichtig ist daher, alle Zuzahlungsbelege sorgfältig aufzubewahren. Jede Krankenkasse, alle Ärzte und Ärztinnen, Sanitätshäuser sowie alle anderen Leistungserbringer sind verpflichtet, geleistete Zuzahlungen kostenfrei zu quittieren.
Allgemeine Belastungsgrenze
Die Zuzahlungsbefreiung gilt nur für gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlungen. Eigenanteile, die bspw. für Zahnersatz oder Hilfsmittel zu zahlen sind, fallen nicht unter die Regelung. Die allgemeine Belastungsgrenze beträgt 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Für chronisch Kranke beträgt sie 1 % der Bruttoeinnahmen.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben in einem Rundschreiben festgelegt, was zu den „Einnahmen zum Lebensunterhalt“ zählt. In Form einer Tabelle sind alle Einkommensarten aufgelistet. Es ist jeweils angegeben, ob sie zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt zählen oder nicht angerechnet werden. Wichtig ist zu wissen, dass z. B.
- Pflegegeld,
- Eingliederungshilfe für behinderte Personen,
- Kindergeld und Kinderzulage,
- Wohngeld und
- Elterngeld bis 300 €
keine anrechenbaren Einnahmen sind.
Chronisch krank: Die 1 %-Regelung
Wer chronisch krank ist, für den gilt die günstigere 1 %-Regelung. Darunter fallen Versicherte, die ein Jahr oder länger mindestens einmal im Quartal ärztlich behandelt werden und entweder
- pflegebedürftig nach Pflegegrad 3, 4 oder 5 sind
oder - aufgrund der Erkrankung einen Grad der Behinderung von mindestens 60 oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 60 haben
oder - kontinuierliche medizinische Versorgung benötigen, wie z. B. Arzneimitteltherapie oder Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln, bei denen sich ohne die Therapie der Gesundheitszustand verschlechtern würde.
Wie wird gerechnet?
Für die Berechnung wird sowohl bei der 2 %-Regelung als auch bei der 1 %-Regelung vom gesamten Familien-Bruttoeinkommen der Personen ausgegangen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben. Ehegatten, eingetragene Lebenspartner und Kinder sind der Regelfall. Auch dann, wenn ein Ehegatte oder Lebenspartner dauerhaft in einem Pflegeheim oder einer vollstationären Einrichtung für Menschen mit Behinderung lebt, wird von einem gemeinsamen Haushalt ausgegangen. Als gemeinsamer Haushalt gilt auch, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam oder getrennt voneinander in zwei Einrichtungen leben. Berücksichtigt werden Kinder bis zu dem Jahr, in dem sie 18 Jahre alt werden. Der Versicherungsstatus des Kindes ist dabei ohne Bedeutung.
Vom Bruttoeinkommen können bestimmte Freibeträge abgezogen werden. Das sind im Jahr 2023 für Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner 6.111 € und für jedes zu berücksichtigende Kind 8.952 €.
Besondere Belastungsgrenze
Bei bestimmten Sozialleistungen gibt es für Versicherte eine besondere Belastungsgrenze. Dabei geht es um Versicherte, die
- Hilfe zum Lebensunterhalt, Bürgergeld oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII oder ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach BVG oder nach einem Gesetz, das dieses für anwendbar erklärt, erhalten;
- in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung leben und bei denen die Kosten der Unterbringung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen werden.
Bei diesen Versicherten wird nur der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII als Bruttoeinnahme für die gesamte Bedarfsgemeinschaft angesetzt. Im Jahr 2023 ist das ein Betrag von 502 €. Die jährliche Belastungsgrenze beträgt bei 2 % damit 120,48 € und bei 1 % (chronisch Kranke) 60,24 €.
Bezug von Hilfe zur Pflege
Eine weitere Besonderheit gilt für Bezieher von Hilfe zur Pflege. Das ist eine Leistung der Sozialhilfe, die im 7. Kap. des SGB XII geregelt ist. Eine pflegebedürftige Person, die die Kosten für die notwendige Pflege nicht selbst tragen kann, erhält sie zu ihrer Unterstützung. Für diesen Personenkreis ist die gesetzliche Zuzahlung nur bis zur Höhe des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII zu leisten, wenn daneben
- Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kap. des SGB XII oder
- Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kap. des SGB XII
bezogen werden.
Ausnahme
Werden neben der Hilfe zur Pflege weder Hilfe zum Lebensunterhalt noch Grundsicherungsleistungen bezogen, gilt die vorgenannte Regelung nicht. Vielmehr ist dann die Belastungsgrenze anhand der tatsächlichen Einnahmen zum Lebensunterhalt zu ermitteln.
Hilfe zur Pflege bei stationärer Unterbringung
Wer in einer stationären Einrichtung lebt und pflegebedürftig nach Pflegegrad 2–5 ist, hat Anspruch auf Hilfe zur Pflege. Bei Versicherten, die in diesem Setting Hilfe zur Pflege erhalten, wird durch die Leistung der Hilfe zur Pflege vom Sozialhilfeträger ein Teil der Unterbringungskosten übernommen. Daher haben Versicherte auch nur bis zur Höhe des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII Zuzahlungen zu leisten.
Antrag stellen
Da es nicht so ist, dass die Krankenkasse Versicherte automatisch benachrichtigt, wenn die persönliche Belastungsgrenze erreicht ist, müssen die eigenen Zuzahlungen im Blick behalten werden. Wenn die individuelle Belastungsgrenze erreicht ist, kann bei der Krankenkasse eine Befreiungsbescheinigung beantragt werden. Wichtig ist, zusammen mit dem Antrag alle Originalquittungen für die geleisteten Zahlungen und Kopien der Einkommensnachweise (wie z. B. Gehaltsbescheinigung) bei der Krankenkasse einzureichen. Für den Rest des Jahres müssen dann keine Zuzahlungen mehr geleistet werden. Was zu viel gezahlt wurde, wird von der Krankenkasse zurückerstattet.
Der Antrag muss jedes Jahr neu gestellt werden. Wer weiß, dass er in jedem Fall seine Belastungsgrenze überschreiten wird, kann auch zu Beginn des neuen Kalenderjahres eine Vorauszahlung in Höhe des individuellen Höchstbetrages leisten. Sollte die Zuzahlung in dem Jahr dann geringer ausfallen, wird der Betrag allerdings nicht (auch nicht anteilig) zurückerstattet.