Hilfsmittel – Versorgung und Qualität
Anja Bollmann, Blickpunkt-Ausgabe 04/2022
Egal, ob Gehhilfen, Orthesen, Rollator, Rollstuhl oder anderes – viele Versicherte sind mit der Versorgung nicht zufrieden. Das bezieht sich sowohl auf den Weg bis zur Versorgung als auch auf die Qualität der Versorgung. In rechtlicher Hinsicht geht es um die Versorgung mit sogenannten Hilfsmitteln.
Wer trägt die Kosten?
Bei der Frage, wer die Kosten für ein Hilfsmittel zu tragen hat, kommen mehrere Kostenträger in Betracht. Es kommt darauf an, für welchen Zweck und aus welchem Grund das Hilfsmittel benötigt wird. Geht es um die Teilhabe am Arbeitsleben, sind Rentenversicherung oder Arbeitsagentur zuständig. Nach einem Arbeits- oder Wegeunfall oder einer Berufskrankheit muss die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten tragen. In gewissen Einzelfällen kann auch das Sozialamt verpflichtet sein, die Kosten zu übernehmen.
Regelfall
Meist ist die Gesetzliche Krankenversicherung wegen Krankheit und Behinderung zuständig. Manche Hilfsmittel sind sowohl wegen einer Krankheit oder Behinderung erforderlich, sind gleichzeitig aber auch Pflegehilfsmittel. Das ist dann der Fall, wenn es um Geräte oder Sachmittel geht, die zur häuslichen Pflege notwendig sind. Im Vordergrund steht, die Pflege zu erleichtern oder dazu beizutragen, Beschwerden zu lindern oder der pflegebedürftigen Person eine selbstständige Lebensführung zu ermöglichen. Dann kann auch die Gesetzliche Pflegeversicherung zuständig sein. Das setzt voraus, dass Pflegebedürftigkeit festgestellt wurde, d. h. ein Pflegegrad besteht.
Hilfsmittel beantragen
Für die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung bestimmt § 33 SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung), dass Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln haben. Sie müssen im Einzelfall erforderlich sein, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, und es darf kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sein.
Mit oder ohne Rezept
Bei Rollstühlen, Orthesen, Prothesen, Hörgeräten handelt es sich um qualitativ hochwertige Hilfsmittel. Oftmals ermöglichen sie einem Menschen überhaupt erst, an dem gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Im Krankenversicherungsrecht ist gesetzlich bestimmt, wie das zu erfolgen hat. Hilfsmittel werden von verschiedenen Leistungserbringern wie bspw. Sanitätshäusern, Homecare-Unternehmen oder Apotheken abgegeben. Versicherte können manche Hilfsmittel ohne Rezept direkt bei ihrer Krankenkasse beantragen. In der Regel werden Hilfsmittel durch Ärzte verordnet, d. h. es wird ein Rezept ausgestellt. Geht es um die Erstversorgung mit einem Hilfsmittel, ist immer ein Rezept erforderlich.
Medizinisch notwendig
Welches Hilfsmittel in der konkreten Situation sinnvoll und erforderlich ist, entscheidet der Arzt. Es gibt ein Hilfsmittelverzeichnis und eine Hilfsmittelrichtlinie, die für die Bewertung herangezogen werden können. Aus dem Rezept muss unbedingt hervorgehen, warum das Hilfsmittel medizinisch notwendig ist. Es empfiehlt sich auch zu begründen, warum ein ganz spezielles Hilfsmittel infrage kommt, vielleicht weil es schon ausprobiert wurde oder es besondere Eigenschaften hat, die bei den bestehenden Einschränkungen relevant sind. Wichtig ist zu wissen, dass Hilfsmittel nicht im ärztlichen Budget enthalten sind. Die Ablehnung der Verordnung mit Hinweis auf ein begrenztes Kontingent an Verordnungen ist also nicht richtig.
Beschaffungsweg
Wenn es um ein Hilfsmittel geht, für das ein Rezept erforderlich ist, muss der Beschaffungsweg eingehalten werden. Nachdem das Rezept ausgestellt wurde, ist Kontakt zur Krankenkasse aufzunehmen und die Versorgung mit dem Hilfsmittel zu beantragen. Alle weiteren Schritte muss die Krankenkasse dem Versicherten erläutern. Sie entscheidet meist nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung über den Antrag. Übernimmt die Krankenkasse die Kosten, muss sie den Versicherten darüber informieren, über welchen Hilfsmittelanbieter die Versorgung erfolgt.
Versorgungsverträge
Krankenkassen sind gesetzlich verpflichtet, Verträge mit sogenannten Hilfsmittelleistungserbringern abzuschließen. Darin werden die Bedingungen für die Versorgung und die Preise vereinbart. Das ist dann der Vertragspartner der Krankenkasse, über den das Hilfsmittel in der Regel nur bezogen werden kann. Damit bestimmt also die Krankenkasse, welcher Anbieter, also bspw. welches Sanitätshaus die Versorgung übernimmt. Oft treten dabei Probleme auf. Grund ist häufig, dass die von den Vertragspartnern der Krankenkasse ohne Mehrkosten angebotenen Hilfsmittel von unzureichender Qualität sind. Die Versicherten wählen häufig ein hochwertigeres Produkt, haben dann aber ein Teil der Kosten, d. h. die sogenannten Mehrkosten, selbst zu bezahlen.
Versorgungsqualität
Seit 2017 sind die Krankenkassen dazu verpflichtet, bei der Auswahl der Hilfsmittelanbieter nicht nur den Preis, sondern insbesondere die Versorgungsqualität stärker zu berücksichtigen. Es muss den Versicherten eine Wahl zwischen mehreren mehrkostenfreien Hilfsmitteln ermöglicht werden. Über die Verträge und die Leistungsansprüche müssen die Krankenkassen die Versicherten informieren. Die Verträge zwischen Krankenkasse und dem Hilfsmittelleistungserbringern müssen für die Versicherten möglichst transparent nachvollziehbar sein.
Kontrolle
Doch wer kontrolliert das? Das hat kürzlich das Bundesamt für Sozialversicherung (BAS), das früher Bundesversicherungsamt hieß, getan. Die Kontrolle, um die es hier geht, nennt sich Rechtsaufsicht und wird vom BAS über die bundesunmittelbaren Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung geführt. Das BAS ist auch zuständig für die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung sowie die soziale Pflegeversicherung.
Massive Probleme
Bei der Überprüfung hat das BAS massive Probleme bei den Krankenkassen hinsichtlich der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben festgestellt. Das ergibt sich aus dem kürzlich veröffentlichten „Sonderbericht über die Qualität der Hilfsmittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung“. Die Vorgaben des Gesetzgebers werden nur unzureichend eingehalten. Das BAS hat festgestellt, dass nicht alle Krankenkassen über eine ausreichende Anzahl an Verträgen verfügen. Schon vor zwei Jahren hat das Amt die Krankenkassen aufgefordert, ihm verwertbare Daten zur Verfügung zu stellen. Die Daten sollen es ermöglichen, einen Überblick über die geschlossenen Verträge zu erhalten. Trotzdem war es vielen Krankenkassen bis jetzt nicht möglich, dem Amt die benötigten Daten zu liefern.
Gleichzeitig sind beim BAS zahlreiche Beschwerden von Leistungserbringern über Schwierigkeiten bei der Vertragsverhandlung mit den Krankenkassen eingegangen. Damit fehlt die Transparenz über die von den Krankenkassen abgeschlossenen Verträge. Es gibt nach dem Sonderbericht keine einzige bundesunmittelbare Krankenkasse, die, so wie es gesetzlich vorgesehen ist, ihre Versicherten über die wesentlichen Vertragsinhalte informiert. Mit der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen wollte der Gesetzgeber die Versicherten stärken. Sie sollten in die Lage versetzt werden, die Leistungsangebote der verschiedenen Krankenkassen miteinander zu vergleichen und sich so für die Krankenkasse ihrer Wahl entscheiden zu können.
Patientensouveränität
Zur Sicherung der Patientensouveränität ist es unerlässlich, dass die Versicherten verständliche Informationen über die Versorgungsangebote ihrer Krankenkasse erhalten. Der Gesetzgeber verfolgt schon länger das Ziel, die Versorgungsqualität im Bereich der Hilfsmittelversorgung zu erhöhen. Das BAS wird als Aufsichtsbehörde die Umsetzung weiter begleiten. Mit dem Sonderbericht gibt das Amt auch eine Bewertung mit fachlicher Expertise und Anregungen zur Weiterentwicklung des Rechtsrahmens ab.
Das Ergebnis bleibt abzuwarten.
Quelle
Bundesamt für Soziale Sicherung, 2022. Sonderbericht über die Qualität der Hilfsmittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung, abrufbar im Internet unter www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/allgemeine_dokumente/Sonderbericht_Hilfsmittelversorgung_digital_barrierefrei.pdf