Zum Hauptinhalt springen

Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Mein Dauerthema: Hilfe zulassen - Mehr Eigenständigkeit durch persönliche Assistenzdienstleistungen?

Petra Orben, Blickpunkt-Ausgabe 02/2019

Auf ein Neues! Trotz des tagtäglichen Heckmecks habe ich im vergangenen Jahr doch tatsächlich noch die Energie und Zeit gefunden, mich um Verbesserungen für mein Alltagsleben zu kümmern. Denn: Mehr Hilfe zulassen tut mir gut! Auch wenn ich mich unterm Strich damit echt schwertue. So schloss ich das Jahr 2018 mit zwei Neuerungen ab, die seit Januar 2019 zum Tragen kommen (sollten).

Assistenzstunden in rauen Mengen und Persönliches Budget

Ich habe beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) eine deutliche Erhöhung meiner bisherigen Freizeitassistenzstunden beantragt und auch genehmigt bekommen. Neu an dem ganzen Konstrukt ab 2019 ist, dass nicht mehr der Kreis Mettmann (da wo ich wohne) die Freizeitassistenzstunden bezahlen muss. Denn die Zuständigkeit des Kostenträgers wechselt zum LVR, sobald ebenfalls Stunden für das ambulant betreute Wohnen (BeWo) beantragt werden (was BeWo genau ist, kommt im weiteren Verlauf des Artikels). Neu ist auch, dass ich mich für das Persönliche Budget entschieden habe. Hört, hört! Jetzt also doch.

So ein Thema gab’s schon mal im Blickpunkt

Stimmt. Und zwar im Heft 3/2014. Titel des Artikels: „Helfende Hände – Freizeitbegleitung, Persönliches Budget, Persönliche Assistenz, Leistungen der Pflegekasse? Ja, was denn jetzt?“. Damals stand das Persönliche Budget für mich schon einmal zur Debatte, allerdings entschied ich mich dann doch dagegen. Die damit einhergehende Stundenerhöhung schlug ich ebenfalls aus. Weil ich zu diesem Zeitpunkt die vielen daraus resultierenden Vorteile für mich irgendwie noch nicht richtig begriffen hatte. Außerdem strengte mich schon allein die Beantragerei im Vorfeld nervlich total an. Voll der bürokratische Aufwand! Gefühlt beanspruchte der Sozialarbeiter, der für die Erstellung des Hilfeplans zum Persönlichen Budget zuständig war, jede meiner freien Minuten. Und immer waren es meine körperlichen Defizite, die im Vordergrund standen. Das war alles andere als motivierend. Schluss damit! Ich sagte jegliche weitere Beschäftigung mit dem Thema Hilfeplan & Co. ab. So ließ ich 2014 alles beim Alten, wollte keine „extra hohe“ Stundenerhöhung, kein Persönliches Budget und nicht den LVR als die genehmigende und geldgebende Instanz. Ich wollte nur noch meine Ruhe und war ganz optimistisch, auch ohne weitere Fremdhilfe mein Leben gestalten zu können.
Ja, Pustekuchen! Hat dann leider nämlich nur mäßig funktioniert. Denn heute stehe ich wieder am selben Punkt wie damals. (PS: Mittlerweile kenne ich einige Menschen, die vor Jahren schon durch diesen Entscheidungsprozess zum Persönlichen Budget, inklusive Stundenerhöhung, gegangen sind, und die daran nicht so verzweifelt sind wie ich seinerzeit. Sie waren damals schon viel cleverer als ich.)

Kurz zum Persönlichen Budget

Für all die Leser und Leserinnen, die besagten Artikel von 2014 nicht mehr auf dem Schirm haben, hier eine kurze Wiederholung. Und natürlich auch für die neue Blickpunkt-Leserschaft. Das Persönliche Budget hat das Ziel, dass jede Person so selbstbestimmt wie möglich die bewilligten Unterstützungsstunden verwalten und bezahlen kann. Im Netz gibt es Unmengen an Informationen, deswegen hier an der Stelle nur dieser kurze Ausschnitt: „Der Weg zum Persönlichen Budget ist der gleiche, wie bei der Beantragung von Sachleistungen. Zuerst muss ein individueller Hilfeplan erstellt werden, aus dem sich der genaue Bedarf an Unterstützung ersehen lässt. Auf dieser Grundlage werden die benötigten Unterstützungsleistungen dann in Geldbeträge umgerechnet und durch den LVR bewilligt. Die Auszahlung erfolgt im Falle eines Persönlichen Budgets an den Menschen mit Behinderung selbst (als sogenannte „Geldleistung“) und nicht – wie bisher – an den Anbieter der Unterstützungsleistung (als sogenannte „Sachleistung“).“

Wie war‘s denn bis jetzt bei mir?

Auch als Wiederholung, eine kurze Zusammenfassung der maßgeblichen Punkte: Über den Kreis Mettmann wurde mir auf Grundlage von §§ 53,54 SGB XII (Leistungen der Eingliederungshilfe) jedes Jahr auf Antrag ein gewisses Stundenkontingent pro Quartal für eine Freizeitbegleitung zur Verfügung gestellt. Ich musste dem Amt darüber regelmäßig Rechenschaft ablegen und meine finanzielle Gesamtsituation kundtun. Der Anspruch auf die Freizeitstunden begründete sich damit, dass ich in einer eigenen Wohnung wohne und über kein Einkommen im klassischen Sinn verfüge. Des Weiteren gehöre ich zum „Personenkreis der Menschen, die mit einer wesentlichen Behinderung, sprich einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung/Erkrankung“ leben (siehe §§ 53,54 ff. SGB XII).
Die am Monatsende ausgefüllten Stundenzettel über die erhaltene Hilfeleistung durch die Freizeitbegleitung reichte ich dann bei dem Anbieter (und Stundenverwalter) „der assistenzdienst GmbH“ (www.derassistenzdienst.de) ein. Dieser Dienst stellte mir die Freizeitbegleiterinnen zur Seite und rechnete direkt mit dem Kreis Mettmann ab. So hatte ich mit sämtlichen Geldtransfers nichts am Hut.

Was ist heute mit den Neuerungen nun anders?

Im letzten Jahr kam durch diverse Gespräche mit Mitarbeitern des Assistenzdienstes erneut das Thema Stundenerhöhung in Kombination mit dem Persönlichen Budget in mein Bewusstsein. Für jeden (auch für mich) wurde immer klarer ersichtlich, dass ich meine Alltagsgestaltung nach dem „alten Modell“ nicht mehr gut schaffte. Wollte ich also meinen Lebensstandard so ungefähr beibehalten wie bisher, brauchte ich mehr Hilfe. Punkt! Dennoch, ein schwieriges Thema für mich… Die Angestellten des Assistenzdienstes halfen mir, den für die Höherstufung der Freizeitstunden notwendigen Hilfeplan zu formulieren. Dieses Mal empfand ich den ganzen bürokratischen Kram gar nicht so nervenaufreibend wie damals in 2014. Auf dem Entscheidungsgremium „Hilfeplankonferenz“ im August 2018 wurde darüber beraten, ob und wie viele Stunden zu bewilligen sind. Der Assistenzdienst hat mich dort fachkundig vertreten und ein gutes Ergebnis erzielt.

Die Angelegenheit mit den Finanzen

Für mich läuft es nun so, dass der LVR mir den Betrag für die bewilligten Stunden monatlich überweist, ich die Stundenzettel (wie sonst auch) ausfülle, dem Assistenzdienst zuschicke, dieser mir eine Rechnung darüber erstellt und ich den Betrag an ihn überweise. Der Vorteil ist nun, dass ich Geld auf dem Konto „ansparen“ kann, also nicht gezwungen bin, meine Stunden immer in Gänze zu verbrauchen. Damit habe ich die charmante Möglichkeit, für längere Aktivitäten Stunden „sammeln“ zu können.
So die schöne Theorie. Denn derzeit läuft alles ein wenig holprig. Anfang Mai habe ich diesen Artikel bei der Blickpunkt-Redaktion eingereicht, vom LVR sind bis dato aber noch immer keine Gelder geflossen. Weil irgendwelche Unterlagen fehlen und unsere Bürokratie bekanntermaßen eher zähfließend vonstattengeht. Ich glaube, der LVR, der Assistenzdienst und ich brauchen da noch etwas Übung. Es muss sich alles noch „harmonisch“ einspielen. Aber ich bin guter Dinge. Bei anderen klappt’s ja auch. Das dafür notwendige separate Bankkonto habe ich mir bereits einrichtet.

Wer macht heute nun was?

Meine Freizeitbegleitungen, die wie früher beim Assistenzdienst auf Minijobbasis angestellt sind, übernehmen mittlerweile ganz unterschiedliche Aufgaben: Hilfe beim Kochen, beim Shoppen, bei Freizeitaktivitäten jeglicher Art, bei Erledigungen inner- und außerhalb der Wohnung oder beim Rollstuhlschieben. Bei längeren Strecken fahren sie mein Auto.

Zusätzlich habe ich noch eine Haushaltshilfe. Sie ist bei einem Pflegedienst angestellt, welcher über die Betreuungsleistungen (125 €) mit der Krankenkasse direkt abrechnet. Dafür schwingt die Dame für einige Stunden den Staubwedel. Vier im Monat, um genau zu sein. Bis zu einer saftigen Preiserhöhung des Anbieters zum April dieses Jahres waren es noch fünf an der Zahl. Nun fehlt eine ganze Stunde. Pech für meine Wohnung!

Noch mehr Unterstützung für mich

Brandneu ist seit diesem Jahr, dass mir ein kleines Kontingent von Stunden für „ambulant Betreutes Wohnen“ (BeWo) zur Verfügung steht. Ich habe mich nach ausführlichen Beratungen dazu entschieden, diese Unterstützungsleistung ebenfalls beim LVR zu beantragen. Zusammen mit den zusätzlichen Freizeitassistenzstunden wurden die BeWo-Stunden auf der damaligen Hilfeplankonferenz im August 2018 beraten und bewilligt. Diese werden von einem Fachdienst geleistet und über den LVR finanziert. Beantragen können diese Leistungen (gleich wie bei den Freizeitassistenzstunden) Menschen mit einer geistigen, körperlichen und/oder auch psychischen Erkrankung, die über kein eigenes Einkommen verfügen und in einer eigenen Wohnung leben (siehe §§ 53,54 ff SGB XII). Auf Antrag könnte ich besagte BeWo-Leistungen ebenfalls als Persönliches Budget nutzen. Ich habe mich aber dagegen entschieden. Weil ich mich nicht auch noch um diese finanzielle Abwicklung kümmern wollte. Macht jetzt alles der Fachdienst. Gott sei Dank! Noch mehr „Geldgeschäfte“, nein danke!

Wie geht BeWo in Echt?

Eine Sozialarbeiterin kommt in meine Wohnung, um mir bei der Alltagsgestaltung, mit allem, was dazugehört, behilflich zu sein. Das heißt: Strukturierung der anfallenden täglichen Aufgaben, Einteilung nach Wichtigkeit, Hilfe bei kniffligen Telefonaten und Briefen, Unterstützung bei bürokratischem Krams.

Anfangs war ich sehr skeptisch, als mir dieses BeWo zur weiteren Unterstützung vorgeschlagen wurde. Fand ich völlig unnötig. Was sollte ich damit? Nicht schon wieder einen zusätzlichen Termin, nicht schon wieder eine Person, die irgendwas von mir will! In der Regel mache ich meinen Bürokram ja selbst. Und Struktur habe ich genug. Halt, Stopp Petra! Stimmt doch gar nicht! Natürlich kann ich Unterstützung bei vielen administrativen Dingen gut gebrauchen! Ich renne ja nicht umsonst zu Anwälten, bemühe mich, Informationen an unterschiedlichen Stellen zu erfragen, hole mir punktuelle Hilfe, verzettel mich so manches Mal oder beschwere mich im Blickpunkt über mein Überlastetsein. Die BeWo-Sozialarbeiterin ist pfiffig und es tut mir tatsächlich gut, mit ihr anstehende Dinge zu besprechen, zu sortieren und ein Feedback zu bekommen. Im Übrigen ist so eine „Wichtigkeitsskala“ ehrlich gesagt auch nicht übel. Manchmal halte ich mich nämlich an kleineren, unbedeutenderen Dingen lange auf und verliere das Wichtige ein wenig aus den Augen. Ich stehe dazu. Denn auch Kleinigkeiten wollen erledigt werden. Ja klar, aber halt eben nicht mit der „falschen“ Priorität.

Um mich herumscharwenzeln verboten!

Gerade jetzt, wo mir bedeutend mehr Helfer auf verschiedenen Ebenen eine effiziente Entlastung in meinem Leben geben, brauche ich aber umso mehr das Gefühl, noch einigermaßen selbstständig zu sein. Damit tue ich mich allerdings noch ein wenig schwer. Ich fühle mich durch die zusätzlichen, aber notwendigen Hilfen in meiner Freiheit etwas eingeengt. Und mal wieder voll der Widerspruch! Auf der einen Seite bin ich froh über die viele Unterstützung und die daraus resultierenden neuen Möglichkeiten, auf der anderen Seite möchte ich nicht, dass immer wieder jemand um mich herumscharwenzelt. Ich lebe seit Jahren allein. Mir ist es nicht so vertraut, dass da häufig jemand „auf meinem Sofa sitzt“, meine Aufmerksamkeit braucht und mich eventuell zutextet. Wie verhalte ich mich diesen fremden Personen gegenüber? Es gibt ja auch Pausenzeiten, wo wir gerade mal nichts unternehmen oder erledigen. Muss ich mich dann ausführlich mit ihnen beschäftigen? Muss ich ständig reden? Alles genauestens verbalisieren? Es reicht mir ja schon so, wie es bis jetzt gelaufen ist! Oje, da werde ich wohl noch gehörig üben müssen. Tja, das sind die Sorgen von mir als Single. Menschen, die es gewohnt sind in Familie oder Partnerschaft zu leben, werden dies vielleicht nicht als so „dramatisch“ empfinden. Obwohl, wer weiß…
Aber ich bin ganz zuversichtlich. Denn alle Menschen, die jetzt zusätzlich in mein Leben getreten sind, sind nämlich echt nett und durchaus eine Bereicherung für mich.

Liebe Blickpunkt-Leserschaft, vielleicht ist mein neues Hilfskonstrukt auch etwas für den ein oder anderen von Ihnen. Ohne zusätzliche Kosten gilt das allerdings nur für Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben (Grundsicherung). Das ist schade! Als Selbstzahler geht das wohl auch, aber damit kenne ich mich nicht aus.

 Herzlichst Ihre
Petra Orben

Quelle

Landschaftsverband Rheinland (LVR) 2019. Das Persönliche Budget, unter www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/menschenmitbehinderung/wohnen/leistungenzumwohnen/persoenliches_budget/persoenliches_budget.jsp#.