Wenn mein Hund über MS erzählen könnte: Hilfreiche Unterstützung durch Haustiere
Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 02/2021
Es ist ja bekannt, dass Haustiere eine heilende Wirkung haben. Für chronisch Kranke bieten sie noch mehr – nämlich ein Heim, Geborgenheit und Liebe. Sie geben so viel, brauchen aber gleichzeitig auch volle Aufmerksamkeit: perfekt also, um besonders chronisch Kranke nicht in ein Loch fallen zu lassen.
Ein aktives Leben und mehr Lebensfreude
Menschen mit chronischen Erkrankungen haben oft einen anderen Alltag als Gesunde, und viele Betroffene fühlen sich noch dazu sehr häufig allein. Hier kann ein Haustier zu einem aktiven Leben beitragen, die Einsamkeit stoppen und darüber hinaus viel Lebensfreude vermitteln. Allein ein Tier zu streicheln, kann beruhigend wirken. Man hat einen Ansprechpartner, einen Zuhörer und einen Kuschelpartner. Das kann Gold wert sein und über manch traurigen oder schmerzhaften Moment hinweghelfen.
Tiere als Therapeuten
Tiere können durchaus auch therapeutische Funktionen erfüllen. So werden etwa im Rahmen der Reit- bzw. Hippotherapie speziell ausgebildete Pferde eingesetzt, um Erkrankungen des zentralen Nervensystems, des Stütz- und Bewegungsapparats physiotherapeutisch zu begleiten.
Hunde können so ausgebildet werden, dass sie Menschen aktiv helfen, in dem sie Gegenstände (Schuhe, Strümpfe, Handy) bringen und gar beim Anziehen unterstützen. Ein sehr gutes Beispiel sind auch die wunderbaren Blindenhunde.
Hunde können die DNA eines Menschen riechen und sind, etwa als Diabetikerwarnhunde, ebenso in der Lage, bei sinkenden Blutzuckerwerten den Mensch zu warnen oder Hilfe zu verständigen.
Aber auch viele andere Tiere wie Katzen, Meerschweinchen, Alpakas, Kaninchen oder Hühner dienen als Helfer in der tiergestützten Therapie. Sie motivieren Menschen, wirken beruhigend, wecken versteckte Emotionen und machen kommunikativ.
Mein Seelenhund
Besonders Hunde haben einen speziellen Umgang mit ihren Lieblingsmenschen, und wenn diese noch dazu krank sind, spielen sie mitunter eine sehr wichtige Rolle im Leben der Betroffenen. Sie merken genau, wenn etwas nicht stimmt. Als wir etwa unseren Mischlingshund Smiley adoptierten, folgte er mir vom ersten Tag an auf Schritt und Tritt. Beim Gassi-Gehen schaute er sich anfangs immer um, ob ich auch noch da bin. Unglaublich!
Wenn wir auf dem Rückweg unserer Gassi-Runde waren und zum Schluss immer noch den kleinen Anstieg nach Hause schaffen mussten, blieb er neben mir. Anfangs dachte ich, dass er selbst müde sei und auch nicht mehr schnell laufen könne. Ich erzählte dies meiner Tochter, die Smiley damals immer zum Joggen mitnahm. Sie lachte und sagte: „Mit mir rennt er den Berg sogar hoch!“ Also schlussfolgerten wir, dass er einfach spürte, dass ich bergauf langsam bin und Pausen brauche. Wieder unglaublich!
Das heißt, er spürt, dass ich schlecht laufen kann, und passt sich einfach an. Punkt!
Er spürt meine Fatigue und hilft auf seine Weise. Einfach so. Punkt.
Besonders beeindruckt bin ich auch von seiner Empathie und diesem wertfreien Empfinden. Ihm ist es egal, ob ich dick oder dünn, groß oder klein, hell oder dunkel, homo- oder heterosexuell bin. Er liebt mich als Wesen. Und so stören ihn auch meine Beeinträchtigungen nicht! Das ist eine Wohltat.
Wenn also mein Hund über MS erzählen könnte, dann würde er wertfrei von den Symptomen berichten – von Fatigue, Sehschwäche, Schwindel, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, vom Stolpern und von Gedächtnisstörungen. Einfach so. Nur erzählen – nicht werten.
Er schaut mich voller Liebe an und sieht weder die Kilos, die ich zu viel auf den Hüften habe, noch meine Beeinträchtigungen. Er sieht einfach nur MICH und blickt tief in meine Seele.
Könnten wir nicht alle so wertfrei sein?
Dann wäre das Leben so viel einfacher, wir würden selbstverständlich Hilfe bekommen und auch einfordern können.
Ein Hund überlegt nicht groß, er handelt. Er ist einfach da. Und er schämt sich auch nicht, weil wir manches nicht mehr so gut können. Er nimmt es einfach als gegeben an. Wertfrei und voller Liebe. Er ist einfach an meiner Seite.
Kinder sind übrigens ebenso wertfrei. Wenn ihnen etwas anders oder komisch vorkommt, dann fragen sie einfach – aber auch ohne Wertung. Zum Beispiel: „Warum sitzt der Mann im Rollstuhl?“. Das ist NUR eine Frage, die man ebenso sachlich beantworten kann. Je nach Alter des Kindes ergeben sich daraus vielleicht noch weitere Fragen, aber sicherlich niemals wertend. Der Mann sitzt im Rollstuhl. Punkt.
Natürlich machen wir Menschen im Lauf unseres Lebens Erfahrungen – gute wie schlechte – und diese prägen uns. Und natürlich müssen wir auch aus diesen Erfahrungen lernen – das heißt, Urteile können in einem gewissen Maße auch hilfreich und richtungsweisend sein. Aber jemanden zu verurteilen – das ist nochmal eine andere Kategorie, und sie ist niemals schön.
Ich wünsche uns allen viel Wertfreiheit und den Mut und die Chance, uns diese zu erarbeiten. Immer und immer wieder – ein laufender Prozess!
Gründlich überlegen, bevor man sich ein Haustier anschafft
Natürlich muss man immer – aber auch besonders als Kranke*r – gut abwägen, ob man sich ein Haustier anschafft und vor allem, welches Tier für die individuelle Situation sinnvoll sein könnte. Ein Hund braucht Auslauf, man muss mit ihm Gassi gehen. Bei mir ist es so, dass ich momentan liebe Nachbarinnen habe, die meinen Hund mittags zur großen Gassi-Runde abholen, weil es mir gerade zu viel ist. Ich gehe morgens und abends eine kleine Runde mit ihm. Man muss also von vorneherein mit einplanen, ob man selbst Gassi gehen kann oder ob es einen zuverlässigen Gassi-Geher geben kann, der dies übernehmen könnte.
Katzen sind diesbezüglich pflegeleichter, da sie auch innerhalb einer Wohnung ohne Freigang bleiben können. Aber auch hier gilt, dass man sich vorher genau überlegen muss, was noch anfällt. Tierarztbesuche, Fellpflege und das Füttern zum Beispiel – all das muss sichergestellt sein. Ein Haustier ist eine Verantwortung, die man nicht unterschätzen darf.
Kleine Haustiere wie Hasen, Meerschweinchen, Hamster oder auch Vögel sind natürlich ebenso eine Option, aber da gilt genau dasselbe. Man muss einfach in der Lage sein, adäquat für das Tier zu sorgen und die Verantwortung für sein Leben übernehmen zu können. Oder man sollte im Vorfeld sicherstellen, wer dabei unterstützen könnte und auch zu welchen Bedingungen.
In jedem Fall gilt für mich, dass man nicht unbedacht und egoistisch dem eigenen Wunsch nachgeben sollte, wenn man ein Haustier unbedingt haben möchte. Leichtfertiges Handeln tut keinem Tier gut und kann weitreichende Folgen haben.
Für mich hat sich herausgestellt, dass es gut war, dass wir Smiley adoptiert haben, denn er gibt mir nicht nur unglaublich viel Liebe und Halt, sondern er tut rundum gut – er gibt mir ständig Anlass zum herzhaften Lachen, zum Schmusen und zur Unterhaltung. Ich bin gezwungen, mich aufzuraffen, und werde mit einem Schwanzwedeln und einem treuen Hundeblick belohnt. Mein Hund heilt auf eine besondere Weise und ist einfach da. (M)ein Seelenhund!
Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Liebe und Gute – vielleicht mit einer kleinen Fellnase an Ihrer Seite.
Herzlichst Ihre
Heike Führ