My home is my castle: Wie ich gerne wohnen möchte. Alleine, in einer Wohngemeinschaft oder doch lieber in einem Wohnprojekt?
Petra Orben, Blickpunkt-Ausgabe 01/2018
Viele Fragen zum Thema Wohnen beschäftigen mich derzeit. Alles hat seine Vor-und Nachteile. Seit zehn Jahren lebe ich nun schon in einem Wohnprojekt. Aber ist das auch noch das Richtige für mich?
Wohngemeinschaften lagen früher voll im Trend
Als ich in den 1980er-Jahren in Köln studierte, lebte man ganz selbstverständlich in Wohngemeinschaften. Da war es schon eher ungewöhnlich, wenn man alleine hauste. Gemeinsam wohnen, kochen, büffeln, sich die Kosten teilen und die Freizeit miteinander verbringen, war damals ziemlich in. Dass wir uns in den WGs oftmals ums Haushaltsgeld stritten und uns häufig nicht einigen konnten, wer nun tatsächlich mit Putzen oder Einkaufen dran war, tat dem Ganzen keinen Abbruch. Viele von uns träumten sogar davon, später einmal in einer Kommune zu leben. Ich auch. Aber unterm Strich hatten wir alle keinen richtigen Plan, was solch ein Kommunenleben in echt wohl bedeutet hätte. Sex, Drugs and Rock ‘n‘ Roll? Auf jeden Fall waren wir alle fasziniert von Rainer Langhans‘ legendärer Kommune I in Berlin. Vielleicht war das aber auch nur bei uns angehenden Sozialpädagogen so ein Wunsch. Aus all meinen Träumen diesbezüglich ist später nie was geworden.
Wohngemeinschaft ade
Nach dem Studium änderte sich unser aller schmuckes Zusammenwohnen. Wir WG-ler zogen auseinander, das Berufsleben stand vor der Tür, es wurde geheiratet, Familien gründeten sich. Und ganz neu: Singlehaushalte kamen in Mode. Ich habe zweimal mit meinen jeweiligen Beziehungspartnern zusammengelebt, bis sich so ein Singlehaushalt für mich als sehr viel attraktiver herausstellte. Von nun an war es dann für etliche Jahre vorbei mit meinem Wunsch, in einer Kommune oder in einer anderen Form von Gemeinschaft leben zu wollen. Allein in einer Wohnung, frei sein und sich niemandem verpflichtet fühlen, das war ab da meine Prämisse. Ein schönes Singleleben. War auch lange Zeit prima so.
Rennen und Aktionismus in Hochgeschwindigkeit
Unsere heutige Zeit ist mittlerweile sehr rasant geworden. Keiner hat mehr richtig Zeit. Ich ja auch irgendwie nicht. Wir müssen alle mobil sein, sind ständig auf Achse, ob beruflich oder privat, sind gestresst, rennen rum und haben Unmengen von Dingen gleichzeitig zu erledigen. Ganz nebenbei ist jeder bemüht, in dieser immer schneller werdenden Zeit ein bisschen Glück zu finden. Jeder auf seine Weise. Ich ebenso. Hoch lebe der Individualismus! Als MS-Betroffene kann ich jedoch gar nicht mehr schnell rennen und andauernd in Aktion sein. Ich bin zu langsam und die anderen sind einfach zu schnell. Dieses Ungleichgewicht ist aber auch sicherlich eine Erscheinung unseres digitalen Zeitalters und betrifft zum Beispiel ältere Menschen ähnlich.
Meine persönliche Quintessenz aus diesem ganzen Dilemma: Mit lieben Menschen eine entspannte Zeit verbringen, gute Gespräche führen bei einem behaglichen Gefühl von Nestwärme, kam bei all der Hetzerei für mich im Laufe der letzten Jahre ziemlich zu kurz. Aber vielleicht habe ich dieses „Mangelgefühl“ auch nur, weil ich alleine lebe und nicht in eine Familie mit Kindern eingebunden bin. So ein typischer Einpersonenhaushalt eben. Ich weiß nicht genau.
Ein Wohnprojekt musste her
Mit den Jahren entpuppte sich also das Alleinwohnen doch nicht mehr als das Gelbe vom Ei und verlor nach und nach seinen Reiz. Lust auf irgendeine Form von gemeinschaftlichem Leben rührte sich erneut in mir. Ob dieser Wunsch damit zu tun hatte, dass ich auf Grund der MS eingeschränkter in meinen Bewegungen wurde und deswegen immer mehr auf fremde Hilfe angewiesen war, ich mich langweilte oder einsam fühlte, kann ich jetzt nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall bin ich 2008 in das Wohnprojekt „Mettmanner Hofhaus“ gezogen. Hier sind 34 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe beieinander, jeder hat seine eigene Hauseingangstür und die Wohnungen sind über Laubengänge miteinander verbunden. Auf dem Gelände gibt es zusätzlich einen recht großen Gemeinschaftsraum mit Küche und einem kleinen, aber feinen Büro, für alle eine Rasenfläche in der Mitte der Anlage und einen Minikinderspielplatz. Die Altersstruktur reicht momentan von einem Jahr bis weit über die 80. Außer mir wohnen hier noch drei andere Menschen mit Handicap. Dieses Wohnprojekt hatte sich bei seiner Gründung 2001 auf die Fahne geschrieben, miteinander „anders leben und wohnen“ zu wollen.
Die Rahmenbedingungen waren erst einmal ganz wunderbar
In den ersten Jahren nach meinem Einzug war es mit den meisten Nachbarn recht nett. So wurden zum Beispiel regelmäßige Kochevents ins Leben gerufen (meist von mir), Spieleabende veranstaltet, Ausflüge ins nähere Umland gestartet, gemeinsam Filme geschaut, Gartenaufräumaktionen gemacht und im Sommer miteinander gegrillt. Wenn ich, zu welcher Tageszeit auch immer, nach Hause kam, saß meist jemand im Liegestuhl auf der Wiese oder in der Grillecke. Ein kleiner Plausch und erst dann ging ich in meine Wohnung. Das war immer richtig schön. Und wenn mir in meinem Zuhause die Decke auf den Kopf fiel, konnte ich fast sicher sein, dass irgendein Nachbar draußen herumschwirrte. Man half sich bei kleineren Problemchen. Ob das ganze Konstrukt allerdings bei einer Pflegebedürftigkeit im Sinne von Körperpflege noch funktioniert hätte, wage ich zu bezweifeln. Kann ich nicht einschätzen, ich denke aber eher nicht. Dafür waren wir uns dann doch nicht nah genug. Aber für eine verlässliche Alltagsunterstützung im weitesten Sinn, hatte es für alle meist gereicht. Damals …
Alles ändert sich im Leben
So nach und nach hielten Veränderungen Einzug in unser Wohnprojekt. Schade! Leute zogen aus, andere ein. Allerdings fast ausschließlich Menschen, die nicht so sehr an gemeinschaftlicher Nachbarschaft interessiert waren (und sind). Also keine Lieblingsnachbarn. Und so kann man sagen, dass Vieles im Laufe der Zeit immer mehr verwässert ist. Das ist wirklich traurig und überhaupt nicht im Sinne des Erfinders. Übrig geblieben sind nur noch Wenige aus der Gründungsphase, einige nun auch schon an bzw. über die 80. Bei diesem kläglichen Rest ist noch der Ursprungsgedanke des Gemeinschaftlichen vorhanden und sie helfen, so gut sie können. Gott sein Dank! Deshalb habe ich hier immer Hilfe bei der Müllentsorgung, bei der Grünzeugpflege auf meiner Terrasse, und ich kann vertrauensvoll bei Abwesenheit meinen Schlüssel weitergeben. Nette Gespräche zwischen Tür und Angel sind auch meistens drin. Eine Tasse Café ebenfalls. So was läuft noch recht gut für mich. Dafür bin ich meinen Nachbarn sehr dankbar. Natürlich bin auch ich im Rahmen meiner Möglichkeiten gerne bereit (fast jedem) behilflich zu sein. Aber dieses Grundsätzliche von: „Wir sind eine starke Nachbargemeinschaft und machen Vieles zusammen“ wie zu Beginn gibt es nicht mehr.
Wer macht’s denn jetzt?
Wer fühlt sich grundsätzlich im Rahmen einer größeren Gemeinschaft für was verantwortlich? Wer erfüllt welche Aufgaben, um ein intaktes Miteinander zu gewährleisten? Welche Regelwerke sind dafür wichtig? Alles ganz essenzielle Fragen, die unbedingt eine Antwort brauchen, will man gut zusammenwohnen. Dafür sind Gespräche innerhalb der Mieterschaft notwendig, aber auch mit dem Vermieter, und ebenso ist das Einhalten von Hausordnungen ein unbedingtes Muss. Dennoch, wie überall, menschelt es auch in Wohnprojekten. Alles steht und fällt mit der verantwortlichen Mitarbeit der Mieter. Von anderen Mehrgenerationsprojekten weiß man übrigens, dass diese ähnlich gelagerte Probleme haben wie wir. Zu Beginn sind alle voller Elan, vielleicht avanciert man sogar zum Prestigeobjekt für seine Stadt und dann wird’s immer beschwerlicher. Plötzlich haben es die Menschen mit Selbstverwaltung und nachbarschaftlichen Verantwortlichkeiten zu tun. Bei dem ganzen Konstrukt „Wohnprojekt“ wird genau dies in der Regel unterschätzt.
Miteinander wohnen ist nicht einfach
Ein gemeinsames, zufriedenes Wohnen funktioniert in der Regel nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Oder zumindest fast alle. Eins, zwei „Ausreißer“ könnten verkraftet werden. Aber im Großen und Ganzen sollten alle Mitmieter wirklich Lust auf Gemeinschaft haben, gern einen Teil ihrer Zeit füreinander investieren und wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie in ein ausgeschriebenes Wohnprojekt einziehen.
Seitdem ich hier in Mettmann wohne (im Februar 2018 sind es 10 Jahre), habe ich die Erfahrung gemacht, dass es recht schwierig ist, aus „fremden Menschen“ Nachbarn zu machen, die sich auch tatsächlich füreinander verantwortlich fühlen. Und das verbindlich über einen längeren Zeitraum. Besonders bei den vielen Neuzugängen hat sich das bei uns als sehr schwierig bis fast nicht machbar entpuppt. Vor allen Dingen braucht es immer wieder ein paar „hauptverantwortliche“ Menschen, die sich für das Gelingen des Ganzen verantwortlich fühlen und Aktionen (Nachbarschaftshilfe, Hausmeistertätigkeiten, Gartenarbeit, gesellige Aktivitäten etc.) koordinieren. Aber nicht nur immer dieselben! Irgendwann haben auch die keine Lust mehr, wenn es zu viele „nur“ Mitläufer gibt. Genau das ist jetzt unsere Situation.
Mal abgesehen davon, dass ich so eine Wohnform mit 34 Einzelbehausungen einfach zu groß finde. Es kommen auf relativ engem Raum an die 80 Personen zusammen, inklusive der derzeit neun Kinder.
Und jetzt? Wie könnte ich denn zukünftig wohnen?
Prima wäre es, ich würde mit Bekannten oder Freunden etwas auf die Beine stellen, in kleinerem Rahmen. Mit Menschen, die tatsächlich Lust und Spaß daran haben, einen Großteil ihrer Lebenszeit miteinander verbringen zu wollen. Die auch bereit sind, mir unter die Arme zu greifen (vielleicht sogar wortwörtlich), wenn ich wegen meines Handicaps mal eben schnelle Unterstützung brauche. So ein Zusammenleben mit mehreren hat ja auch viele Vorteile. Man könnte zusammen kochen und essen (macht viel Spaß!), sich bei Bedarf eine Reinemachfrau teilen und falls mal Pflegebedürftigkeit anstünde, sich vielleicht auch gemeinschaftlich eine Pflegekraft engagieren. Wie das in echt gehen könnte, müsste man mal rausfinden.
Aber wichtiger als das Teilen von Haushaltshilfe und Co ist mir das menschliche Miteinander. Nur nette Menschen! Vielleicht so ähnlich wie damals zu WG-Zeiten. Aber meine Erfahrungen aus dem Mettmanner Projekt muss ich unbedingt in jede neue Wohnungsplanung mit einfließen lassen!
Interessanterweise treffe ich in der letzten Zeit immer wieder auf Menschen, die Lust auf gemeinschaftliches Wohnen verspüren. Die meisten um die 50 plus und Singles. Das Thema „Wohnen im Alter“ scheint derzeit also brandaktuell. Wie das alles konkret auf die Beine zu stellen ist, weiß ich nicht. Dafür sind mit Sicherheit zigtausend Stunden Recherche notwendig. Wichtig ist mir derzeit nur, dass ich begonnen habe, diese Wünsche in meinem Kopf hin und her zu bewegen. Der Anfang ist gemacht. Also, künftig Augen und Ohren offenhalten. Wie sagt man landläufig: Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und den habe ich gesetzt. Und wenn auch erst einmal nur mit diesem Artikel.