Mobilitätstraining mit Rollstuhl: Ein bewegendes Wochenendseminar
Sandra und Bernd Meixner, Blickpunkt-Ausgabe 3/2016
Seit ungefähr zwei Jahren sind wir, Sandra und Bernd Meixner, Mitglieder der Freizeitsportgruppe KSG Rhein-Neckar in Heidelberg-Wieblingen. Dort treffen wir uns einmal im Monat mit anderen Rollstuhlfahrenden und Begleitpersonen, um Rollstuhltraining zu machen. Wir fanden es notwendig, da Sandra als MS-Betroffene zwar noch mit dem Rollator laufen konnte, aber immer öfter auf den Rollstuhl angewiesen war. Weil es schon in der Freizeitsportgruppe viel Spaß gemacht hatte, dachten wir uns, dass wir an einem zweitägigen Mobilitätstraining teilnehmen sollten, um vielleicht noch etwas dazuzulernen, da zwei volle Tage doch intensiver sind als nur ein Sonntagnachmittag.
Am 25. und 26. Juni fand in Rheinstetten bei der Firma t-rv das erste zweitägige, von der MSK e. V. organisierte Mobilitätstraining statt. Das Training wurde von Holger Kranz gestaltet, der bereits viel Erfahrung als Leiter der Freizeitsportgruppe der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung des integrativen Sports mitbrachte. Es hatten sich circa 20 Rollstuhlfahrende mit verschiedenen Einschränkungen (u.a. MS und Spina bifida) eingefunden, die den besseren Umgang mit dem Hilfsmittel Rollstuhl erlernen wollten.
Theorie und Praxis bei Vortrag, Fahrspielen und Koordinationstraining
Zunächst wurde ein einfaches Fahrspiel gemacht, sodass Holger sich einen ersten Überblick über die „Fahrkünste“ der Teilnehmenden machen konnte. Auch die Fußgänger (Begleitpersonen) waren aufgefordert teilzunehmen, damit auch sie sich mit dem Rollstuhl vertraut machen und so ein besseres Gefühl für den Rollstuhl entwickeln und ihre Partner besser unterstützen können. Holger hatte für die Begleitpersonen viele verschieden Rollstühle dabei, sodass für jede Größe und jedes Gewicht etwas Passendes vorhanden war.
Nach dem Aufwärmen gab es einen theoretischen Vortrag über die Eigenschaften des Rollstuhls, z.B. dass man nach hinten kippen kann, wenn man das Gewicht beim Anfahren nicht nach vorne verlagert.
Danach wurden Fahrübungen gemacht, bei denen Holger immer wieder korrigierend eingriff, um den Teilnehmenden einen sichereren Umgang mit dem Rollstuhl zu ermöglichen. Wir übten beispielsweise das Rückwärtsfahren oder das Drehen auf engem Radius: Das ist übrigens für MS-Betroffene auch eine gute Ergotherapie- und Koordinationsübung! Zur Auflockerung wurden am Nachmittag Rollstuhlballspiele mit Softbällen angeboten, wobei jeder mitspielen konnte, wie Rollstuhlhandball, Rollstuhlrugby oder auch Rollstuhlbrennball.
Anschließend wurden bei Fahrspielen die Geschwindigkeit und Koordination trainiert. Wir traten einzeln oder in Gruppen gegeneinander an mit viel Spaß und natürlich auch ein bisschen Ehrgeiz – wie bei den Rollstuhlballspielen.
Ankippen und Überwinden von kleineren Absätzen
Am Samstagabend waren wir alle erschöpft und haben in einem nahe gelegenen, fast komplett rollstuhlgerechten Hotel (nur die Duschstühle haben gefehlt, aber da hat jeder seine eigene Lösung gefunden – der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt) übernachtet und einen sehr netten Abend miteinander verbracht, bevor wir uns am nächsten Morgen wieder bei t-rv eingefunden haben. Am Sonntag stand dann hauptsächlich das Fahren von Rampen und Steigungen, aber auch abschüssigen Strecken im Vordergrund. Im Nachbargelände ist eine große, lange Rampe für LKW vorhanden, die sich hervorragend zum Üben geeignet hat. Holger hat die Prinzipien erklärt und so konnte jeder das Auf- und Abwärtsfahren unter fachkundiger Anleitung üben. Abschließend wurde das Ankippen und Überwinden von kleineren Absätzen geübt, im Alltag extrem wichtig, um beispielsweise einen Bordstein zu überwinden. Erschöpft haben wir uns dann am Sonntagnachmittag auf den Nachhauseweg gemacht.
Auch beim Rollstuhlfahren: Übung macht den Meister
Insbesondere erreichte uns die Erkenntnis, dass man das Rollstuhlfahren auch üben und die richtige Technik beherrschen muss, um im Alltag klarzukommen und sich trotz Einschränkung der Gehfähigkeit eine möglichst große Unabhängigkeit zu bewahren.
Ein besonderer Dank geht an Nicole Püschel und Albert Föhrenbühler (Geschäftsführung von t-rv), beide waren während der beiden Tage anwesend und haben für das leibliche Wohl gesorgt. Wer wollte, konnte sich auch in einer der Pausen zu einer kleinen privaten Werksführung einladen lassen – das war auch sehr interessant. Weitere Details kann man sich unter www.t-rv.de anschauen.
Für Sandra war die Erkenntnis nach diesem Wochenende wichtig, dass es neben dem Spaß, in einer Gruppe das Rollstuhlfahren zu üben, noch viele Dinge zu verbessern gibt. Deshalb hatten wir beschlossen, uns für das nächste Mobilitätswochenende der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung des integrativen Sports im Juli anzumelden, diesmal im Jugendzentrum Ronneburg, in der Nähe von Frankfurt. In Ronneburg wurden im Prinzip ähnliche Übungen und Spiele gemacht und wir hatten wieder sehr viel Spaß, einige Teilnehmenden hatten wir ja schon in Rheinstetten kennengelernt und die Wiedersehensfreude war entsprechend groß. In Ergänzung hatte Holger einen Rollstuhlparcours mit Rampen verschiedener Steigungen, schrägen Fahrstrecken (wie Gehwege) und Wippen dabei. Damit kann man die verschiedenen Elemente des Rollstuhlfahrens zusammenhängend üben. Auch die Geselligkeit kam diesmal wieder nicht zu kurz, beim gemütlichen Grillen haben wir einen schönen Abend verbracht.
Prompte Umsetzung des Gelernten
Das Coole an der Sache kommt jetzt noch. Nach den Mobiwochenenden sind wir in Urlaub nach Österreich gefahren. Wir haben in einem Hotel übernachtet und wie es der Zufall so will, gab es dort eine Rampe und eine kleine Toilette, wo das Wenden auf engem Radius bzw. das Rückwärtsfahren notwendig war. Die bei den Mobiwochenenden gelernten Techniken konnten direkt angewendet werden. Das ist für Sandra ein Ansporn, weiter an der Freizeitsportgruppe und bei den Mobiwochenenden teilzunehmen und den Umgang mit dem Rollstuhl weiter zu verbessern.
Wer Zeit und Lust hat, kann gerne mal bei uns reinschnuppern, das nächste Rollstuhltraining findet in Heidelberg am 20. November statt. Es gibt aber auch Freizeitsportgruppen in Frankfurt, Freiburg und Ulm. Bei Interesse können Sie sich gerne bei uns, Sandra und Bernd Meixner unter der Telefonnummer 06227 64090 oder der E-Mail-Adresse sandrameixner@kabelbw.de – oder direkt bei Holger Kranz unter 0173 4031688 beziehungsweise per E-Mail unter kranzholger@web.de erkundigen.