Positiv denken – ist das gut möglich mit MS?
Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 02/2022
Ich behaupte: Ja! Und damit meine ich nicht, dass sich plötzlich alle Probleme lösen, wenn man „positiv“ denkt. Vielmehr geht es um eine Lebenseinstellung. Handeln!
Fast schon ist es ein „Schlagwort“: Überall hört man: „Du musst nur positiv denken“! Ehrlich, das macht mich wütend, denn wenn es so einfach wäre, wären wir alle gesund und würden in Frieden leben. Manchmal ist es fast ein Hohn, wenn man so etwas gesagt bekommt. Fast so, als müsse man sich verteidigen oder rechtfertigen. Aber die gute Nachricht ist: Jeder Mensch, der dies hier liest, der sich diesem tollen Verein und Selbsthilfegruppen angeschlossen hat, ist schon auf dem positiven Weg. Denn für mich bedeutet „positives Denken“ vor allem eins: Handeln!
Man hat immer die Wahl!
Ja, man hat nämlich die Wahl, sich mit seiner chronischen Erkrankung in die Ecke zu setzen und sich dem Schicksal zu ergeben, oder man wählt Offenheit, nach vorne zu schauen und sich Gruppen anzuschließen. Wenn man Letzteres tut, vereinsamt man nicht so schnell, ist in Kontakt (!) mit anderen – sowohl mit Betroffenen als auch mit den Angehörigen – und setzt sich mit seiner Krankheit AKTIV auseinander. Also frage ich mich zunächst, was einen positiv gestimmten Menschen ausmacht und stelle fest, dass positive Menschen ihren Tag nicht griesgrämig oder völlig unzufrieden starten, sondern fröhlich, voller Zuversicht und Freude. Das nennt sich Optimismus, und dieser ist für eine allgemeine positive Grundstimmung Voraussetzung.
Positives Mindset: Was bedeutet das eigentlich?
Auch diesen Begriff hört man immer wieder, kann ihn vielleicht aber doch nicht so richtig einordnen. Ein positives Mindset bedeutet, dass man generell eine optimistische Grundhaltung hat und Herausforderungen nicht gleich als Problem ansieht, sondern sie annimmt und im besten Fall niemals aufgibt. Dass man den Mut und die Zuversicht besitzt, immer einen Weg zum Ziel zu finden.
Wenn man geübt darin ist, schafft man es auch, etwas anzupacken, bzw. man gelangt im Laufe der Zeit zu der Überzeugung, es zu schaffen. Und das ist auch das Besondere daran: Mit viel Übung wird man sicherer, und es darf uns dann auch „in Fleisch und Blut“ übergehen…
Ein Mindset ist der Definition nach auch eine Ansammlung von Glaubenssätzen. Glaubenssätze wiederum sind tief in der Psyche verankerte Grundannahmen und Überzeugungen über sich selbst, über andere Menschen und über den Austausch mit der Umwelt. Viele Menschen denken irrtümlich, dass unsere Glaubenssätze unwandelbar seien. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die einzigartige Struktur unseres Verstandes können wir selbst gut und aktiv daran arbeiten, negative Mechanismen abzubauen und unser Mindset positiv zu verändern.
Der innere Kritiker: Glaubenssätze sind veränderbar
Wer kennt nicht diese fiese penetrante Stimme in unserem Kopf, die uns einflüstert, dass wir nicht gut, schlau oder schön genug seien! Diese schreckliche Stimme, die uns immer wieder sagt, dass wir irgendetwas gar nicht erst probieren sollten, „weil es ja sowieso immer daneben geht und nicht klappen kann!“. Meistens macht sie uns also klein und definitiv nicht optimistisch!
Man nennt diese Stimme auch den „inneren Kritiker“, der Teil von uns, der grundsätzlich an allem, was wir sagen, machen oder sind, etwas auszusetzen hat. Tatsächlich entsteht dieser „innere Kritiker“ bereits im Kindesalter aus Informationen, die wir von unseren Erziehungspersonen (Eltern, Lehrer*innen, etc.) nach Fehlern oder bei Gefahren erhalten haben und die uns helfen sollen, uns im Leben an die Normen in unserer Umgebung anzupassen und uns in ihr gut zurechtzufinden.
Und hier kommen wir direkt wieder zu den Glaubenssätzen zurück: Wir dürfen lernen, diese Stimme zu analysieren – wo genau sie herkommt, warum sie da ist und was sie mit uns macht. Dieses Untersuchen des inneren Kritikers ist wichtig, um zu verstehen, warum man so kritisch mit sich selbst ist – denn nur dann kann man aktiv daran arbeiten, sein individuelles Mindset positiv zu verändern.
Ich habe es für mich geübt und ausprobiert und tatsächlich – es funktioniert: Man kann diese Glaubenssätze durch neue ersetzen. Starten Sie z. B. so in den Tag, auch wenn es Ihnen am Anfang komisch erscheint:
- Heute ist ein schöner Tag, und mir werden positive Dinge widerfahren!
- Ich bin gut so wie ich bin!
- Meine Krankheit definiert mich nicht. Ich bin immer noch ich und nicht meine Erkrankung!
- Ich bin liebenswert!
- Ich habe viele positive Eigenschaften!
- Ich werde alles schaffen!
- Ich schaffe das!
- Ich werde gesund sein!
- Ich bin gesund!
An sich selbst glauben
Auch wenn sich das für Sie fremd anfühlt: es wirkt! Ich habe mir solche Sätze immer wieder aufgesagt und mich von aufkommenden negativen Gefühlen oder auch von Scham freigemacht. Ich bin dadurch tatsächlich optimistischer und viel positiver eingestellt und traue mir nun auch Dinge zu, die ich vorher aus lauter Angst, es nicht zu schaffen, vermutlich auch nicht geschafft hätte.
Beispielsweise war ich auf einer Party, auf der viel gestanden wurde und es wenig Sitzmöglichkeiten gab. Ich habe mir vorher immer wieder gesagt: „Du schaffst das! Du kannst Dich irgendwo notfalls hinsetzen, aber du schaffst das! Du bist an diesem Tag sehr stark!“ Und was soll ich sagen? Ich habe es geschafft! Natürlich habe ich mich immer wieder mal auf eine Couch gesetzt, die im Partyraum stand, aber ich habe nicht nur gesessen. Ich habe es geschafft, und nun weiß ich, dass ich es wieder schaffen werde!
Zu meinem Geburtstag bekam ich Karten für ein Konzert geschenkt: Stehplätze! Mein erster Gedanke: „Da kann ich nicht hin, das schaffe ich nicht, wie soll das nur klappen?“ Mein neuer Glaubenssatz: „Ich schaffe das!“, „Ich werde vorher viel liegen, um fit zu sein!“, „Ich kann am Tag danach viel liegen, um meine Beine und die Spasmen zu entschärfen!“, „Meine Physiotherapeutin wird entsprechende helfende Übungen mit mir machen!“.
Wenn man dadurch lernt, immer mehr an sich selbst zu glauben, wird man sicherer, und das verändert auch Strukturen in unserem Gehirn, beeinflusst unser Verhalten und unser Denken. Man denkt im Laufe der Zeit tatsächlich positiver.
Natürlich wird dadurch ein*e im Rollstuhl Sitzende*r nicht plötzlich wieder laufen und ein*e Blinde*r nicht wieder sehen können. Aber die Haltung dazu ändert sich, die Haltung uns selbst gegenüber: Wir nehmen uns als wertvoller und geschätzter Mensch wahr und werden dann auch spüren, dass uns andere Menschen positiver wahrnehmen. Das hat also Auswirkungen auf das ganze Leben und auf unser Umfeld und bringt Schwung und Freude ins Leben zurück oder bereichert es.
Probieren Sie es ruhig einmal aus. Finden Sie passende Glaubenssätze für sich – denn jede*r hatte andere Kindheits- oder prägende Erlebnisse. Seien Sie es sich WERT, positiv zu denken und eine positive Ausstrahlung zu gewinnen. Wir sind nicht unsere Krankheit, wir sind wir selbst und können so viel mehr, als wir denken!
„Sie schaffen das!“
Herzlichst Ihre
Heike Führ