Was Gefühle in unserem Körper auslösen und wie sie unsere Gesundheit beeinflussen
Beate Eichmeier, Blickpunkt-Ausgabe 02/2024
Wie oft haben wir als Kind Sätze gehört wie: „Sei nicht traurig. So schlimm ist das doch nicht“, „Hab keine Angst. Das ist nicht gefährlich“ oder „Jetzt beruhige dich. Das hat XY nicht so gemeint.“ Einem Kind, das z. B. gerade ausgelassen spielt, Angst hat oder wütend ist, wird mit solchen Sätzen vermittelt, dass es nicht angebracht ist, seine Gefühle in dem Moment zum Ausdruck zu bringen. Es lernt, dass es besser ist, sie in manchen Situationen oder in der Gegenwart bestimmter Menschen zu unterdrücken. Vielleicht fragt es sich sogar irgendwann, ob seine Gefühle überhaupt „richtig“ sind. Da ein Kind von den Eltern und/oder Bezugspersonen abhängig ist, hinterfragt es deren Äußerungen nicht. Es sucht die Schuld bei sich. Wir lernen so Verhaltensmuster, die uns auch viele Jahre später noch negativ beeinflussen können.
Was sind eigentlich Gefühle?
Gefühle zeigen uns, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt empfinden. Dies können z. B. Angst, Trauer, Wut, Freude oder Stolz sein. Gefühle sind für jeden Menschen individuell. So fühlen sich Gefühle wie Eifersucht oder Wut für jede*n von uns anders an.
Man unterscheidet bei den Gefühlen, die wir im Laufe unseres Lebens erfahren, zwischen Primär-, Sekundär- und Fremdgefühlen. Primärgefühle beschreiben unsere ersten Gefühle, die wir noch im Mutterleib sowie bei oder nach der Geburt erleben. Jegliche Art von Freude, Mitgefühl, Stolz, Liebe, Geborgenheit und Sicherheit gehören ebenso dazu wie etwa Hoffnungs-, Hilf- oder Orientierungslosigkeit, Verzweiflung, Scham, Ekel, Neid, Trauer oder verschiedene Arten von Angst, Einsamkeit oder Kälte. Diese Gefühle können seelischer oder auch körperlicher Natur sein und zeigen sich auch im späteren Leben immer wieder.
Um diese schmerzhaften Gefühle, die wir zu Anfang unseres Lebens erfahren haben, nicht fühlen zu müssen und oftmals auch um weiterleben zu können, entstehen Sekundärgefühle, z. B. kann aus Angst oft Wut, Jähzorn oder sogar Hass werden. Dadurch entwickeln wir ein oft unbewusstes Anpassungsverhalten, mit dem wir später durchs Leben gehen. Diese Sekundärgefühle wirken wie eine Schutzmauer um unsere Primärgefühle und verhindern, dass wir mit ihnen in Kontakt kommen.
Oftmals übernehmen wir auch Gefühle, die uns gar nicht gehören, sogenannte Fremdgefühle. Wir spüren bereits als Embryo, während der Geburt oder in den ersten Lebensjahren sehr genau, wie es unserem Umfeld, unserer Mutter oder unserem Vater geht. Da wir in den ersten Lebensjahren sehr offen sind, übernehmen wir oft den Schmerz, die Traurigkeit oder Angst unserer Bezugsperson, ohne dass es uns bewusst ist. Diese Gefühle fühlen sich für uns so vertraut an, dass wir oft auch viele Jahre später noch der Überzeugung sind, sie gehörten zu uns.
Gefühle und ihre Wirkung im Körper
Einer Studie der finnischen Universität Aalto zufolge erleben wir jedes Gefühl auch auf körperlicher Ebene. So lösen Gefühle wie Angst, Scham oder Wut Empfindungen in verschiedenen Körperregionen aus. Während Angst z. B. vor allem im Brustbereich durch eine Steigerung der Körperaktivität wahrgenommen wird, zeigt sich Traurigkeit eher durch eine Deaktivierung der Körperaktivität in den unteren Extremitäten.
Gefühle haben Auswirkungen auf unsere Organe, die sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch niederschlagen. Angst geht uns häufig „an die Nieren“. Sorgen liegen uns „im Magen“. Trauer betrifft unsere Lunge und nimmt uns sprichwörtlich „die Luft zum Atmen“. Wut läuft uns in Form einer Laus „über die Leber“. Tatsächlich handelt es sich zu 99 % entweder um eine Bewertung, Interpretation oder Körperempfindung, wenn wir glauben, von Gefühlen zu sprechen. Entsprechend sollten wir uns unserer tatsächlichen Gefühle, die hinter jeder Bewertung, Interpretation oder Körperempfindung stecken, bewusst machen.
Der Einfluss auf unsere Gesundheit
Unterdrückte Gefühle sind alles andere als gesund für uns. Oft manifestieren sich unterdrückte Ängste, Wut, Scham, Schuld oder Trauer Jahre später in körperlichen Beschwerden oder gar chronischen Krankheiten. Doch meist geschieht dieses Unterdrücken völlig unbewusst. Wir wissen gar nicht, dass und welche Gefühle wir unterdrücken. Oft sind wir uns ebenso wenig darüber bewusst, dass sie erheblich unsere körperliche Gesundheit beeinflussen können.
So können Rückenschmerzen beispielsweise auf Themen mit unserer Vergangenheit hindeuten. Blasenprobleme stehen häufig im Zusammenhang mit unverarbeiteten Emotionen, die nicht losgelassen werden können. Krankheitsbilder, die die Augen betreffen, deuten auf etwas hin, was wir nicht sehen können oder wo wir nicht hinschauen wollen. Bei Verdauungsbeschwerden darf sich der Betroffene häufig die Frage stellen, was so sehr auf ihm lastet, dass er es nicht verdauen kann.
Autoimmunerkrankungen allgemein oder die Multiple Sklerose im Besonderen stehen für eine Art „Bürgerkrieg“, einen Krieg des Körpers gegen sich selbst. Der Betroffene hat häufig das Gefühl, dass sich sein Leben leer anfühlt und ihn etwas lähmt, er wertet sich oder bestimmte Merkmale seiner Persönlichkeit ab. Darüber hinaus glaubt er nicht an seine eigene Kraft, die Dinge verändern zu können. Perfektionismus und eine sehr hohe Erwartungshaltung an sich selbst bestimmen das Leben vieler Betroffener und sind häufig ein Ausdruck der großen Härte gegen sich selbst und die eigenen Bedürfnisse. Die Schuld wird darüber hinaus meist zuerst bei sich selbst gesucht.
Der Schlüssel zur Besserung der Symptome und zur emotionalen Heilung liegt darin, diese Gefühle zu fühlen. Indem wir diese Gefühle wie die Selbstablehnung oder die Schuld fühlen, lösen sie sich aus unserem Körpersystem. Diese können bspw. häufig jahre- oder jahrzehntelang in der Hüfte, im Rücken- oder Schulterbereich feststecken. Die Energie kommt wieder ins Fließen. Indem wir uns bzw. dem Anteil von uns, der in dieser Erfahrung von früher stecken geblieben ist, Mitgefühl entgegenbringen, können wir ihn integrieren und werden so wieder ganz.
Selbstreflexion
Einer der ersten Schritte, um sich der unterdrückten Gefühle bewusst zu werden, ist zu lernen, sich selbst zu reflektieren. Durch Selbstreflexion lernen wir uns selbst besser verstehen, wir nehmen unsere Gedanken, Erfahrungen und auch Gefühle wahr. Sich darüber bewusst zu werden, was wir in einem Moment fühlen, führt dazu, dass wir bewusster handeln können. Selbstreflexion erfordert Zeit, die man sich zum Nachdenken nimmt. Dies kann z. B. mittels Journaling/Tagebuch schreiben, Meditation oder ganz einfach durch Fragen geschehen, die man sich selbst stellt. Es kann auch eine gute Übung sein, an einem ruhigen Ort den Gefühlen, die gerade in dem Moment in uns sind, Raum zu geben und sie aus einer Vogelperspektive heraus wie ein Forscher zu erspüren und zu beobachten. Mit der Zeit werden wir uns immer mehr Gefühlen in uns bewusst.
Hilfe von außen
Gerade Gefühle, die mit einem einschneidenden Erlebnis oder Trauma verbunden sind, sind häufig ohne Hilfe von außen nicht zu erreichen, da uns unser System vor einer Retraumatisierung schützen will. Unbewusst machen wir daher oft die Erfahrung, dass wir Situationen, die dieses Gefühl berühren könnten, vermeiden. Auch das Fühlen dieser Gefühle sollte nicht ohne professionelle Unterstützung erfolgen, da sich dies sehr schnell überwältigend anfühlen kann. Hier können psychotherapeutische Unterstützung, systemisches Coaching oder Familienaufstellung hilfreich sein, um Zugang zu den eigenen unterdrückten Gefühlen zu bekommen.
In meiner Erfahrung war es vor allem die systemische Familienaufstellung, die nicht nur gesundheitlich, sondern auch auf emotionaler und psychischer Ebene sehr viel verändert hat. Ich fühle mich nicht nur gesünder, denn ich habe deutlich weniger Beschwerden – auch MS-typische –, sondern habe auch sehr an emotionaler Stabilität gewonnen. Unangenehme Situationen oder Stress werfen mich nicht mehr aus der Bahn oder lassen mich in Panik verfallen, ich kann sie heute annehmen. Die früher beinahe alltägliche Angst, z. B. vor dem nächsten Schub, der nächsten Autofahrt oder davor, einen Fehler zu machen und zu versagen, wurde immer leichter, als ich sie endlich gefühlt habe. Heute ist sie einer Grundhaltung von Zuversicht gewichen. Ich fühle wieder und lasse alle meine Gefühle zu. Das können Wut, Enttäuschung oder Angst sein. Aber ich fühle auch wieder Freude, Leichtigkeit und ein großes Vertrauen, mir und dem Leben gegenüber – das für mich persönlich größte Geschenk.
Quellen und weitere Informationen
Dahlke, R. 1997. Krankheit als Sprache der Seele. München: Goldmann.
Fachportal Gesundheit. Selbstreflexion: Der Weg zur persönlichen Weiterentwicklung, abrufbar im Internet unter www.fachportal-gesundheit.de/selbstreflexion.
Freudenberg, S. 2015. Die Seele als Coach. Verantwortlich und authentisch leben. München: Trinity.
Jiménez, F. 26.5.2013. Unangenehmes wird (un)bewusst verdrängt, abrufbar im Internet unter www.welt.de/wissenschaft/article116534487/Unangenehmes-wird-un-bewusst-verdraengt.html.
Martel, J. 2023. Mein Körper. Barometer der Seele. Kirchzarten: VAK.
Karbiner, R. 2018. Was sind Gefühle eigentlich?, abrufbar im Internet unter www.psychotherapie-linz.or.at/2018/02/19/was-sind-gefuehle-eigentlich.
Nummenmaa, L. et al. 2013. Bodily maps of emotions, abrufbar im Internet unter www.pnas.org/doi/pdf/10.1073/pnas.1321664111.