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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Beziehungen stärken: Freundschaften mit MS

Heike Führ, Blickpunkt-Ausgabe 01/2025

Freundschaft ist etwas Wundervolles – und für Menschen mit chronischen Erkrankungen hat sie auch deshalb einen besonderen Stellenwert, weil Diagnose und Symptome Veränderungen mit sich bringen, die das Zusammensein mit anderen erschweren können.

Was macht Freundschaft aus?

Was genau macht Freundschaft aus? „Manche Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären“, so formulierte es einst der bekannte katholische Theologe und Gesprächstherapeut Petrus Ceelen sehr treffend, wie ich finde. Freunde stehen uns einfühlsam in Lebenskrisen bei, helfen uns tatkräftig im Alltag, inspirieren und unterstützen uns selbst- und bedingungslos und teilen (nicht nur Erfahrungen) mit uns. Gut, sie gehen uns auch mal auf den Geist und halten uns den Spiegel vor, sind aber eigentlich immer nachsichtig mit uns. Eine Wohltat!

Manche Freundschaften halten ein Leben lang, andere sind nur von kurzer Dauer. Es gibt die „wahre“ Freundschaft ebenso wie die „falschen Freunde“, denen man diese Eigenschaften zwar zuschreibt, aber oft bitter erfahren muss, dass sie es nicht gut mit uns meinen. Freundschaft beruht als Sozialbeziehung eben auf Gegenseitigkeit und bedeutet auch „Verbindlichkeit“. Das heißt, man interessiert sich aufrichtig füreinander, bietet Hilfe an, unterstützt die andere Person und lässt sich auch gerne helfen.

Für Freundschaft stehen also positive Werte wie Vertrauen, Empathie, Zugewandtheit, Verträglichkeit, auch der gute Umgang mit Kritik und Gefühle wie Freude, Zusammenhalt und Gemeinschaft.

Einig sind sich fast alle, dass Freundschaft auf Zufall oder freier Wahl beruht und durch eine gewisse Sympathie, Gleichheit und Ähnlichkeit, eine Übereinstimmung in den Idealen und im Welt- und Menschenbegreifen geprägt ist. Es gibt sowohl lockere oberflächliche als auch tief verwurzelte Freundschaften, in denen wir Nähe zulassen, Dinge von uns preisgeben, uns ehrlich machen. Die Grenzen dazu, die sich die Betroffenen setzen, sind allgemeingültig und bekannt – der oder die andere wird sie normalerweise nicht einfach überschreiten. Aber auch „überstrapazieren“ sollte man eine Freundschaft nicht.

Freundschaften sind auch durch das Wachstum mit- und durcheinander geprägt, bedeuten Beziehungsarbeit und müssen entsprechend gepflegt werden. Das ist ein bisschen wie Familie oder Partnerschaft. War das gerade auch bei einer räumlichen Distanz früher schwieriger und das Schreiben von Briefen ein wichtiges Mittel zur Kommunikation, ist es heutzutage mit Hilfe von Telefon und Internet so viel einfach geworden, Kontakte zu halten.

Durch die mittlerweile weitverbreitete Nutzung des Internets können Freundschaften auch noch schneller und gezielter gefunden werden. Die sozialen Medien ermöglichen unkomplizierte „Freundschaften“ – auch ohne persönliche Begegnung. In virtuellen sozialen Netzwerken können Benutzer*innen sehr viele „Freunde“ haben, auch solche, die sie nie gesehen haben, von denen sie kaum etwas wissen und die sie auch nicht persönlich kennenlernen wollen.

Freundschaft leben

Freundschaften sind etwas Besonders, weil man im besten Fall mit Freunden „alles schafft“! In meinem Leben gibt es ganz besondere Menschen, die wirklich wahre Freunde sind und auf die ich mich immer verlassen kann (und sie sich auf mich). Hier muss niemand dem anderen etwas beweisen; es ist ein echtes Geben und Nehmen. Und es darf auch sein, dass der eine mal mehr und die andere weniger „gibt“ – so, wie es eben gerade passt. Man kennt sich, man vertraut sich. Es muss nicht immer alles ausgeglichen werden – auch das macht Freundschaft aus.

Offen miteinander zu reden und sich gegenseitig zuzuhören, ist dabei das A und O. Und ja, wir chronisch Kranken haben vielleicht das Gefühl, dass wir unseren lieben Freunden nicht so helfen können, wie sie es umgekehrt tun, da wir gehandicapt sind. Aber gute Freunde wissen das und lieben uns trotzdem: Natürlich kann ich beispielsweise bei keinem Umzug mehr mit anpacken, aber ich könnte einen Kuchen für all die Helfenden backen. Oft sind es die kleinen Gesten, die trotzdem unglaublich viel Gutes auslösen.

Da meine beiden Gassi-Geherinnen (für meinen Seelenhund Smiley) mittlerweile auch zu sehr guten Freundinnen geworden sind, habe ich mir überlegt, wie ich ihnen mal helfen könnte. Ich backe ja sehr gerne und kreiere besondere Desserts: Nun bringe ich zu jedem Grillen oder Geburtstag Entsprechendes mit und entlaste sie dadurch. Das ist für mich recht wenig Aufwand, aber die Beschenkten freuen sich riesig. So wird jeder wissen, wie man seinen Freunden einen großen Gefallen tun kann und was hilfreich für sie ist.

In guten wie auch in schlechten Zeiten?

Und ja, Freundschaften können auch auseinanderbrechen, etwa, wenn wir uns auseinanderentwickelt haben oder wenn Unverständnis, Rivalität, Missgunst oder auch böse Absichten im Spiel sind. Auch die Diagnose einer chronischen Krankheit wie MS kann Freundschaften nachhaltig verändern. Denn es entstehen neue Herausforderungen, neue Bedarfe, aber auch neue Prioritäten, und manche Themen, die einmal miteinander verbunden haben, sind nun nicht mehr wichtig. Einige Symptome der Krankheit machen das soziale Miteinander und gemeinsame Unternehmungen auch nicht gerade einfacher, sodass relativ schnell eine gewisse Einseitigkeit oder auch Frust entstehen kann, der die gewohnte Unbeschwertheit vertreibt und zu einer Entfremdung führen kann. Verständnis ist eben nicht grenzenlos. Manche, von denen man es nie gedacht hätte, wenden sich leider tatsächlich auch einfach ab, wenn sie von der Diagnose hören. Oder sie melden sie sich immer seltener, dann gar nicht mehr. Spricht man sie darauf an, weichen sie aus oder bleiben stumm. Das ist sehr unschön und tut weh, weil man viel miteinander geteilt hat und man gerade dann wirkliche Unterstützung so gut gebrauchen kann.

Auch wenn sich einer der beiden unfair verhält, den anderen aus nicht nachvollziehbaren Gründen beschuldigt oder fertigmacht, wenn es Unwahrheiten oder Lügen gibt, sind die Tage gezählt. Manchmal passiert es fast ungesehen, manchmal mit Drama und Kampf. Selten bleibt eine Seele der Beteiligten jedoch unberührt – Trennungen machen immer etwas mit uns. Und dann gibt es natürlich noch unschöne Dinge wie Mobbing. Dazu habe ich in meinem Buch „Freundschaften“ so einiges geschrieben.

Freundschaften müssen eben viel aushalten können – daran erkennt man vielleicht auch relativ schnell, bei wem man gut aufgehoben ist und von wem man besser Abstand halten sollte. Denn es gibt sie, die Freunde, die bleiben.

Freunde gesucht?

Wer sich nach Freunden sehnt und keine hat, dem kann ich nur empfehlen, sich Gemeinschaften anzuschließen. Ein Kurs bei der Volkshochschule besuchen, sich bei Sportvereinen anmelden, im Internet umschauen (dort gibt es auch besondere MS-Foren) – die Möglichkeiten, die man auch mit „Beeinträchtigungen“ nutzen kann, sind vielfältig. Man kann sich bei Freundschafts-Apps anmelden (ich meine KEINE Dating-Apps), in Altenheimen aktiv werden oder beim VdK Mitglied werden und sich den Gruppen anschließen. Nachbarn einzuladen ist auch eine gute Möglichkeit, engere (und vielleicht sogar nachhaltige) Kontakte zu knüpfen.

Und ja, man muss kompromissbereit sein – das ist in jeder Form einer Beziehung so. „Gebacken“ bekommt man niemanden, aber manchmal trifft man auf genau die Seele, die einem gefehlt hat, und es wird eine tiefe Freundschaft daraus. Kontakt halten ist in jedem Fall wichtig, auch wenn das Gegenüber gerade „am Zug“ wäre. Man muss sich ja nicht dauernd sehen, aber SMS, WhatsApp oder ein kurzes Telefonat sind doch immer drin.

Eine meiner besten Freundinnen lebt mittlerweile über 300 km von mir entfernt und da sie auch MS hat, können wir uns nur selten (und nur mit geplanter Hilfe) besuchen, aber wir schreiben uns ganz oft und schicken uns Sprachnachrichten. So halten wir doch engen Kontakt und stehen uns sehr nahe, auch wenn wir räumlich so getrennt sind.

Ich wünsche Ihnen allen den Mut, auf Menschen zuzugehen und Kontakte zu knüpfen und diese auch zu halten. Es lohnt sich. Echte Freunde sind ein Geschenk und fast genauso selten wie die echte Liebe. Wer sie gefunden hat, kann sich sehr glücklich schätzen.

Ein Hoch auf die Freundschaft und das Leben!

Herzlichst Ihre

Heike Führ