Maria Luise „Malu“ Dreyer: den eigenen Weg finden - „Ich schöpfe viel Kraft aus meinem Amt als Ministerpräsidentin, weil ich etwas für die Menschen bewirken kann.“
Antworten von Malu Dreyer
Frau Dreyer, als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz haben Sie einen vollen Terminkalender. Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?
Der Tag beginnt meist mit einem kurzen Austausch mit meinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich führe viele Gespräche mit Menschen auf den unterschiedlichsten Ebenen, wie zum Beispiel Botschafter, Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden, Initiativen, Kirchen und Religionsgemeinschaften oder Betriebsräten. Außerdem bin ich viel im Land und darüber hinaus beispielsweise in Berlin unterwegs. Als amtierende Bundesratspräsidentin repräsentiere ich das Land auf Auslandsreisen, wie beispielsweise kürzlich in Argentinien und Uruguay. Ich besuche Firmen, halte Vorträge und Grußworte bei Veranstaltungen. Dann gibt es eine ganze Reihe regelmäßiger Termine, wie Sitzungen des Ministerrats, des Landtages oder die Bundesratssitzungen in Berlin. Zwischendurch führe ich Telefonate, hausinterne Gespräche oder bearbeite meine Post.
Wie unsere Leserinnen und Leser sind Sie an MS erkrankt, was zusätzlich vor Herausforderungen stellt. Wie schaffen Sie es, Ihren Arbeitsalltag entsprechend anzupassen? Nutzen Sie bestimmte Hilfestellungen oder Techniken für einen so erfolgreichen Umgang mit der Krankheit?
Ich habe mich auf die Krankheit eingestellt, sie ist ein Teil, aber nicht der Mittelpunkt meines Lebens. Ich mache regelmäßig meine Übungen und ernähre mich gesundheitsbewusst. Meine MS-Erkrankung äußert sich glücklicherweise ausschließlich in einer Einschränkung meiner Mobilität; für längere Wege nutze ich auch mal den Rollstuhl oder ein Elektromobil.
Welche therapeutischen Maßnahmen befürworten Sie – auch für sich selbst? Wie stehen Sie beispielsweise zu alternativmedizinischen Behandlungsmethoden? Sportliche Betätigung wird auch für MS-Patienten als förderlich betrachtet – treiben Sie Sport?
Für mich persönlich hat die Physiotherapie einen sehr hohen Stellenwert. Sie hilft mir, mich fit zu fühlen. Ich gehe schon sehr lange regelmäßig morgens zu einem Physiotherapeuten, die Zeit dafür plane ich fest ein. Wenn ich abends in Trier bin und nach Hause komme, setze ich mich zudem fast immer noch ans Rudergerät und mache ein paar Züge, manchmal nur zehn Minuten lang.
Aus welchen weiteren Kraftquellen schöpfen Sie? Wie gestalten Sie Ihre Freizeit positiv?
Ich kann sagen, dass ich schon immer sehr viel Kraft hatte, aber großen Rückhalt bekomme ich natürlich von meinem Mann, den Kindern, meiner Familie, aber auch von vielen Freunden, mit denen ich seit vielen Jahren verbunden bin. Ich schöpfe auch sehr viel Kraft aus meinem Amt als Ministerpräsidentin, weil ich etwas für die Menschen bewirken kann. Ich habe auch das Glück, ein gläubiger Mensch zu sein, auch das gibt mir sehr viel Kraft.
Sehr wichtig ist für mich auch, immer wieder zu regenerieren. Das tue ich beispielsweise bei Spaziergängen mit meinem Mann in der freien Natur oder im Zusammensein mit Freunden und der Familie. Wenn die Zeit es erlaubt, gehe ich in meiner Heimatstadt Trier auch gerne zu Handball- oder Basketballspielen, ins Kino oder lese ein gutes Buch.
Als Person des öffentlichen Lebens geben Sie der Krankheit Multiple Sklerose ein Gesicht und rücken sie in das Bewusstsein der Menschen. Sie geben ein Beispiel dafür, wie sich mit der Krankheit leben lässt. Damit ist der Druck auf Sie, ein gutes Vorbild für den Umgang mit der Krankheit zu sein, sicher größer als für andere Betroffene. Wie sind die Reaktionen auf Ihr Bekenntnis zur MS und wie empfinden Sie die Öffentlichkeit in Bezug auf Ihre Krankheit?
Man nennt MS nicht umsonst die Krankheit der tausend Gesichter. Sie verläuft bei jedem anders und daher finde ich es schwierig, von Vorbild zu sprechen. Es geht mir vielmehr darum, Menschen Mut zu machen, sich nicht beschränken zu lassen, sondern ihren Weg zu gehen. Was die Öffentlichkeit angeht, so finde ich, geht sie sehr gut damit um, es ist eigentlich keine große Sache. Viele Menschen vergessen sie sogar.
Die Frage nach dem geeigneten Wohnumfeld stellt sich für viele MS-Betroffene. Sie wohnen mit Ihrem Mann zusammen im integrativen Wohnprojekt „Schammatdorf“. Was ist das Besondere am „Schammatdorf“? Welche Vorteile bietet Ihre Wohnsituation gerade auch in Hinblick auf das Leben mit einer chronischen Krankheit?
Das Leben im Schammatdorf ist für mich ein echter Glücksfall, denn es spiegelt meine innerste Überzeugung, dass wir ein lebendiges soziales Miteinander brauchen. Und dazu gehört für mich eine lebendige Nachbarschaft, in der Menschen füreinander einstehen, und das ist im Schammatdorf so. Im Schammatdorf leben Alleinstehende, Familien, Reiche, Arme, Menschen mit und ohne Behinderung, Alte und Junge; es spiegelt sich dort der Querschnitt unserer Gesellschaft wider, ohne Ausgrenzung mit großer Normalität. Man hilft sich gegenseitig, ist füreinander da, und das hilft am Ende allen, denn jeder kann mal in die Situation kommen, dass er Hilfe braucht.
Welche politischen Ziele sehen Sie in Zusammenhang mit dem Leben von Menschen mit chronischen Krankheiten, speziell Multiple Sklerose, in der Gesellschaft? Welche Ziele sehen Sie hinsichtlich der medizinischen Versorgung der MS-Kranken und der Forschung zu Multipler Sklerose?
MS war vor 20 Jahren ein viel größeres Tabuthema als heute. Es war eine Erkrankung, mit der man auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hatte. Heute ist der Umgang deutlich tabufreier. Es hat sich herumgesprochen, dass die MS eine Erkrankung ist, die sich sehr unterschiedlich entwickeln kann. Der Umgang mit Menschen mit Behinderungen hat sich erfreulicher Weise allgemein verbessert. Davon profitieren auch viele MS-Kranke. Dennoch ist es wichtig, das öffentliche Bewusstsein für die Multiple Sklerose weiter zu schärfen. Ziel muss es sein, Verständnis für die Belange an MS erkrankter Menschen zu fördern, die Betroffenen optimal zu integrieren und sie im Leben mit der Krankheit zu unterstützen. Mit dem Ziel, auf die Erkrankung aufmerksam zu machen und aufzuklären, findet alljährlich der Welt-MS-Tag statt. In Rheinland-Pfalz leisten über 50 Selbsthilfegruppen wertvolle Arbeit. So finden Betroffene und Angehörige dabei vielfältige Unterstützungsangebote und Anlaufstellen.
Gibt es weitere Aspekte Ihres politischen und vielleicht persönlichen Engagements, die Sie unseren Leserinnen und Lesern mitteilen möchten? Was würden Sie empfehlen im Umgang mit der Krankheit?
Wie bereits gesagt, verläuft die Krankheit bei jedem anders, daher möchte ich mich mit Empfehlungen zurückhalten. Aus meiner Sicht ist es jedoch wichtig, sich nicht von der Krankheit beherrschen zu lassen, sie anzunehmen, statt wertvolle Energie darauf zu verschwenden, sie zu bekämpfen. Wichtig ist – gemeinsam mit Fachleuten – den eigenen Weg zu finden.