Einen Prozess als Gewinner verlieren - Spastik-Therapie mit Baclofen
Thomas Wefing, Blickpunkt-Ausgabe 4/2020
Es begann mit meinem Aufenthalt in der Medclin Rehaklinik in Reichshof im Frühjahr 2017. Dort hat man mich mit Physio- und Ergotherapien wieder etwas aufgepäppelt. Aber der Durchbruch kam dann mit dem von der Krankenkasse genehmigten Antrag auf eine stationäre Botox-Therapie zur Linderung meiner permanenten und überaus unangenehmen Beugespastik in den Beinen. Die dortigen Physiotherapeuten konnten nach der Botox-Behandlung den Rückgang der Spastik bestätigen, und so habe ich nach dem Aufenthalt in der Rehaklinik einen Antrag auf ambulante Fortsetzung dieser Therapie gestellt.
Antrag abgelehnt
Ich hatte endlich ein Mittel gegen die nervige und überflüssige Spastik gefunden und konnte die Wirksamkeit von „Botox“ auch durch Stellungnahme meiner hiesigen Physio- und Ergotherapeutinnen belegen. Der Antrag wurde jedoch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) abgelehnt. Dagegen habe ich sofort Widerspruch eingelegt, der wiederum abgelehnt wurde. Daraufhin habe ich Leute vom MDK gebeten, sich ein eigenes Bild von meiner Spastik zu machen. Auch dieser Wunsch wurde nicht akzeptiert. Und so kam es schließlich zur Gerichtsverhandlung vor dem Sozialgericht, an der ich jedoch wegen meiner damaligen Dekubitusprobleme nicht teilnehmen konnte. Dennoch war ich felsenfest von meinem Prozesssieg überzeugt. Bei solch positiven Stellungnahmen für die Wirksamkeit dieser Botox-Therapie konnte es für mich kein anderes Urteil geben.
Gerichtsprozess auch verloren – aber…
Und…..es kam doch ganz anders, ganz unerwartet anders. Ich habe den Prozess nämlich verloren. Zuerst war die Enttäuschung groß, und ich wollte das Gerichtsurteil nicht wahrhaben. Es war allerdings mehr als ein Trost, als mir meine Anwältin mitteilte, wie sehr den Mitarbeitern der beklagten Krankenkasse und sogar der Richterin daran gelegen war, Wege zur Lösung meines Spastikproblems aufzuzeigen – müsste ich doch (per Gesetz) zunächst alle von der Krankenkasse genehmigten Therapien zur Behandlung der Spastik durchgeführt haben, bevor möglicherweise eine Botox-Therapie überhaupt (wieder nach Antragstellung) infrage kommen würde. Im Nachhinein betrachtet, hatte ich also keine Chance auf einen siegreichen Prozess.
Die mögliche Alternative
Zu der noch ausstehenden Therapie gehört bei mir die Einsetzung einer sogenannten Baclofen-Pumpe (vgl. Beitrag über die Spastik-Therapie im BP 3/2020). Ok. Das habe ich mit meiner Neurologin besprochen, die mich sofort an das Aachener Klinikum verwiesen hat. Dort hat man mich wiederum an die Uniklinik Köln weitergereicht. Der Anruf in der dortigen Neurologie ergab, dass für meinen Fall die Abteilung der Stereotaxie zuständig sei. Aha. Bei dieser Behandlung wird eine kleine Pumpe mit flüssigem Baclofen (ein Mittel gegen Spastik) in den Bauchraum eingesetzt, die über einen Verbindungsschlauch kontinuierlich das Mittel ins Rückenmark abgibt. Soweit die Theorie. Da ich als ein geeigneter Kandidat für diese Behandlung infrage kam, habe ich mit dem sogenannten Case Management der Stereotaxie-Abteilung einen Termin für die OP vereinbart.
Unterwegs in Sachen OP
Man muss dazu sagen, dass ich vom Land komme und mir ursprünglich schon gedacht hatte, dass die Uniklinik Köln wohl ein sehr großes Haus sei. Netterweise wurde mir von der Klinik ein Lageplan zugemailt und als ich den sah, war ich erst einmal sprachlos. Ich sah nicht nur ein Haus, sondern ein ganzes Stadtviertel mit zahlreichen nummerierten Gebäuden und (etwa?) vier Haltestellen der S-Bahn-Linie unmittelbar an dem Klinikgelände. Nun gut. Ich sollte mich schließlich im Bettenhaus Nr. 8 einfinden und mich dort in der Stereotaxie im 14. Stock melden.
Im sogenannten Bettenhaus gibt es insgesamt zehn schnelle Aufzüge, fünf für (normale) Fußgänger*innen und fünf etwas größere Lifte für Bettentransporte und eingeschränkt mobile Personen. Das Erreichen der Stereotaxie habe ich tatsächlich irgendwann geschafft – hier waren allerdings viel Geduld und sehr starke Nerven gefragt.
Aufgrund meines Pflegegrades wurde ich direkt in einem Einzelzimmer mit etwas mehr Platz für den Rollstuhl untergebracht. Die Krankenzimmeraussicht auf Köln war (sogar für einen gesetzlich Versicherten) einfach nur traumhaft, wie das beigefügte Foto zeigt. Die OP wurde von einer jungen attraktiven Ärztin durchgeführt, die auf mich eher den Eindruck machte, als hätte sie gerade erst das Studium beendet. Aber so war es nicht. Ich werde halt auch nicht jünger.
Gewinner im Kampf gegen die Spasti
Nach der kurzen OP: Die Wirkung dieses flüssigen Baclofens war einfach nur grandios. Die Spastik war plötzlich weg, nach Jahren war sie einfach verschwunden. Für mich unglaublich. Ich fühlte mich butterweich und das am ganzen Körper. Ich war so entspannt, dass ich plötzlich keine Kraft mehr hatte, um im Rollstuhl aufrecht zu sitzen. Also wurde daraufhin die Baclofen-Dosierung reduziert, um etwas mehr Spastik zum besseren aufrechten Sitzen zu reaktivieren. Und das hat auch funktioniert. Die gewünschte Dosierung wird mit einer Art Notebook oder Tablet „von außen“ eingestellt. Ich war von dieser Einstellpraxis genauso beeindruckt wie von der Haltbarkeit der Batterie in der Pumpe: etwa 10 Jahre, wurde mir mitgeteilt. Die geeignete Baclofen-Dosierung muss in den nächsten Monaten noch gefunden werden, aber als Fazit kann ich jetzt schon sagen, dass die spastiklösende Wirkung mit der Baclofen-Pumpe bei mir größer ist als mit der Botox-Therapie. Und so fühle ich mich trotz der Niederlage im „Botox-Prozess“ als Gewinner im Kampf gegen die Spastik. Also wer sich von Ihnen jetzt noch über ungewollte Spastikattacken ärgert…..