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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Alexandra Mangers Naturapotheke - Hildegard von Bingen - Bewährtes Heilwissen aus alter Zeit

Alexandra Manger, Blickpunkt-Ausgabe 2/2019
Ein Klassiker für die äußerliche Wundbehandlung, die Schafgarbe, die ich im Blickpunkt 1/2019 vorgestellt habe, soll eine der Lieblingspflanzen der Heiligen Hildegard von Bingen gewesen sein. Auch den Fenchel verwendete sie oft und gerne und sagte über ihn: „Und wie auch immer er gegessen wird, er macht den Menschen fröhlich und vermittelt ihm angenehme Wärme (...)“. Für mich Grund genug, um einen näheren Blick auf diese berühmte Äbtissin zu werfen.
„Die ganze Natur stehe dem Menschen zu Diensten, zum Heil seines Leibes und seiner Seele ist sie bestimmt”
(Hildegard von Bingen).

Wer war Hildegard von Bingen?

Hildegard von Bingen lebte in der Zeit von 1098 bis 1179 n. Chr., also mitten in der Blütezeit der Klostermedizin. Sie war das zehnte und letzte Kind einer adligen Familie und als Kleinkind leider auch oft kränklich. Bereits im Alter von drei Jahren konnten ihre Eltern erste seherische Fähigkeiten bei ihr erkennen und verbrachten sie mit acht Jahren in ein Benediktinerkloster auf dem Disibodenberg in der Nähe von Bad Sobernheim. Dort zeigte sich, dass Hildegard äußerst wissbegierig und musikalisch war. Zwischen ihrem 14. und 17. Lebensjahr legte sie dann ihr Ordensgelübde als Benediktinernonne ab. 1136 wurde sie Äbtissin als Nachfolgerin von Jutta von Sponheim.

Sie gilt als eine bedeutende Universalgelehrte und wird in der Römisch-Katholischen Kirche als Heilige und Kirchenlehrerin verehrt. Zwei Kloster (Rupertsberg und Eibingen) hat die Hl. Hildegard gegründet. Als eine der letzten großen Medizinautorinnen des Hochmittelalters wurde sie vor allem auch durch ihre Werke Physica (Naturkunde) und Causae et curae (Ursprung und Behandlung von Krankheiten) berühmt, deren Thesen sie in Form von Visionen erhielt und niederschrieb. Aus der Zeit gibt es allerdings keine Originalhandschriften mehr und so wird befürchtet, dass diese beiden Werke zumindest nicht vollständig aus der Feder von Hildegard stammen.

Die Bedeutung der Hildegard von Bingen für die moderne Medizin

Heute interessiert sich auch die moderne Medizin für die Klosterheilkunde, denn erstaunlicherweise verwendete man bereits zu Zeiten der Klostermedizin penizillinartige Stoffe bei der Wundbehandlung. Auch die von der Hl. Hildegard empfohlenen Bäder und Waschungen, die Kneipp’schen natürlichen Reize, sind aus der heutigen Naturheilkunde nicht mehr wegzudenken.

Viele Wirkungen der von ihr beschriebenen Pflanzen wurden mittlerweile auch durch die sogenannte Kommission E bestätigt. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Ärzten, Apothekern, Chemikern und Pharmazeuten, die in den 1980er Jahren die Deutsche Gesellschaft für Phytotherapie gründeten und deren Ziel es war, die Pflanzenheilkunde – die Kräuter aus der Klostermedizin – mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen und somit als Arzneischatz zu erhalten. Diese Gruppe hatte am damaligen Bundesgesundheitsamt die selbstständige wissenschaftliche Sachverständigenkommission (Kommission E) für pflanzliche Arzneimittel etabliert, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte heute auch bei der Zulassung von traditionellen Arzneimitteln und von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen berät. In jahrzehntelanger Kleinarbeit sind so die wichtigsten pflanzlichen Heilmittel in Monographien und Standardzulassungen aufgelistet worden.

Behandlungsmethoden

Zu den Behandlungsmethoden Hildegards zählte unter anderem der Aderlass, der im Mittelalter als eine Art Universalheilmittel galt. Auch staunt man immer wieder: Pfarrer Kneipp lobte etwa das Brennnesselpeitschen bei Rheumapatienten, Hildegard schrieb, dass das Verwenden eines Brenneisens jederzeit vorteilhaft sei, für Alte allerdings etwas gesünder als für Junge….
Eine weitere Behandlungsform waren Bäder, sogar ein Schwitzbad kannte sie – mageren und dürren Menschen riet sie allerdings davon ab. Bei einem ansteigenden Voll- oder Teilbad wird demnach mit einer Wassertemperatur von etwa 35 °C begonnen. Nach und nach fügt man heißes Wasser hinzu und erhöht somit die Temperatur auf 39 °C bis 41 °C. Warme Anwendungen sollten immer mit einer kalten abgeschlossen werden; anschließend sollte man für einige Zeit ruhen.

Kräuter und Gewürze

Aber auch Kräuter und Gewürze wurden von Hildegard von Bingen gerne verwendet. Bereits vor 900 Jahren bestanden aktive Handelsverbindungen bis ins ferne Südostasien, der Heimat all dieser Gewürze. Meist waren es getrocknete Wurzeln oder Samen von Pflanzen, die nach ihrer langen Reise in den Klöstern zu Medizin verarbeitet wurden. Sie wurden pulverisiert und auf das Brot, in die Suppe oder den Tee gestreut. Auch als „Küchlein“ verordnete die Äbtissin diese gerne. Die Gewürzpulver wurden dazu in einen Teig aus Dinkel-, Weizen- oder Bohnenmehl zusammen mit Wasser oder Pflanzensäften eingeknetet. Aus dem Teig formte man eine Rolle, schnitt sie in Scheiben und trocknete diese in der Sonne oder im Ofen. Meistens aßen die Kranken ein Küchlein morgens auf nüchternen Magen oder jeweils zu den Mahlzeiten. Manchmal zerbröselten sie sie auch einfach in ein Glas Wein.

Einen kleinen Teil der von Hildegard verwendeten Kräuter und Gewürze möchte ich hier gerne vorstellen:

Basilikum (Ocimum basilicum)

Hildegard setzte ihn bei Zungenlähmung und Fieber ein, die Kommission E ist hier allerdings zurückhaltender. So ist die therapeutische Wirkung nicht genug belegt und es bestehen gewisse Risiken, die allerdings nur eine medizinische Anwendung betreffen; als Gewürz in den üblichen Dosen ist Basilikum unbedenklich.

Bertram (Anacyclus pyrethrum)

Die Pflanze ähnelt der Kamille und ist im Mittelmeergebiet zu Hause. Das Pulver der Wurzel hilft laut Hildegard „gegen viel Schleim im Kopf“, ist ein Stärkungsmittel für Gesunde und Kranke, fördert die Verdauung, reinigt die Säfte und hilft laut Hildegard bei Lungen-, Herz- und Magenproblemen.

Betonie (Stachys officinalis)

Die Betonie wird seit der Antike als Allheilmittel benutzt. Hildegard setzte sie bei Schlaflosigkeit, Albträumen und starken Menstruationsblutungen ein.

Enzian (Gentiana lutea)

Gemeint ist hier natürlich der gelbe Enzian, von dem ich bereits im BP 3/2013 berichtet habe. Hildegard verwendete ihn zur Stärkung des Herzens, aber Achtung: Er steht unter Naturschutz und es besteht Verwechslungsgefahr mit dem giftigen Weißen Germer.

Galgant (Alpinia officinarum)

Auch „milder Ingwer“ genannt, stammt Galgant aus Südchina und wird bei uns seit Jahrtausenden verwendet. Hildegard von Bingen verordnete ihn bei Fieber, schwachem Herzen und Atemwegserkrankungen, gegen „üble Säfte“ und „Schleim in Nase und Rachen“.

Gewürznelken (Syzygium aromaticum)

„Und wenn jemand Kopfschmerzen hat, so dass ihm der Kopf brummt, wie wenn er taub wäre, esse er oft Nelken, und das mindert das Brummen, das in seinem Kopf ist“, lautet der 900 Jahre alte Rat von Hildegard von Bingen. Ihrer Erfahrung nach belebt das Aroma der Gewürznelken bei geistiger Erschöpfung, klärt die Gedanken und hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge. Die Kommission E hat auch hier eine andere Anwendung im Blick: Sie setzt das Nelkenöl lokal bei entzündlichen Veränderungen der Mund- und Rachenschleimhaut sowie in der Zahnheilkunde zur örtlichen Schmerzstillung ein.

Gundermann/Gundelrebe (Glechoma hederacea)

Auch eine potente Heilpflanze, die eigentlich am Wegesrand zu finden ist. Ihre ätherischen Öle, Bitter-und Gerbstoffe unterstützen die Verdauung, die Pflanze spendet Kraft und Hildegard schätzte ihre hautheilenden Eigenschaften.

Ingwer (Zingiber officinale)

Ein Tausendsassa unter den Gewürzen; er regt die Verdauung und den ganzen Stoffwechsel an und bringt Wärme in den Körper. Über den Ingwer, eine wärmende Wurzel (Rhizom), hatte ich im BP 3/2010 gesondert berichtet.

Muskatnuss (Myristica fragrans)

Die Muskatnuss diente bei Hildegard zur Steigerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens. Sie „öffnet das Herz, reinigt die Sinne und bereitet einen guten Verstand“. In der Volksmedizin wurde die Muskatnuss gerne bei Magen-Darm-Erkrankungen eingesetzt, dies ist aber laut Kommission E nicht ausreichend genug belegt. Daher gibt es hierfür eine Negativ-Monographie (was bedeutet, dass das Verhältnis von Nutzen und Risiko also entweder als ungünstig bewertet wird und/oder keine ausreichenden Belege/Erfahrungen zur Wirksamkeit oder keine nutzbaren Angaben zur Dosierung existieren).

Zimt (Cinnamomum ceylanicum)

Zimt fördert laut Hildegard den Stoffwechsel und lindert – in warmem Wein – gichtartige Schmerzen. Laut Kommission E kann Zimt bei Appetitlosigkeit, leichten krampfartigen Beschwerden in Magen-Darm-Bereich sowie bei Völlegefühl und Blähungen eingesetzt werden.

Rezepte

Hildegards Neun-Kräuter-Suppe

1 Zwiebel
40 g Butter
250 g gemischte Kräuter (Brennnessel, Brunnenkresse, Gänseblümchen,
Gundermann, Giersch, Löwenzahn, Rauke, Sauerampfer, Spitzwegerich)
¾ l Gemüsebrühe
Salz, Pfeffer, Muskatnuss
circa 200 g Sahne
Die kleingeschnittene Zwiebel in der Butter andünsten. Die Kräuter, gewaschen und klein gehackt, dazugeben. Mit der Brühe aufgießen, etwa 5 Minuten köcheln lassen. Anschließend mit einem Mixer durchmixen und mit den Gewürzen und der Sahne abschmecken.

Nach dem langen Winter sorgte das frische Grün bereits bei unseren Ahnen für die nun nötigen Vitamine und förderte die Lebensenergie. Dieser Brauch, aus (3 x 3) Kräutern eine Frühlingssuppe zu bereiten, hat sich bis heute gehalten und kommt nun als grüne Neun-Kräuter-Suppe, beispielsweise auch als traditionelle Fastenspeise am Gründonnerstag, wieder auf den Tisch.
Welche neun Kräuter man für die Suppe verwendet, bleibt aber eigentlich jedem selbst überlassen. Es eignen sich dafür beispielsweise auch Vogelmiere, Blutampfer, Knoblauchrauke, Taubnessel, Frauenmantel, Schnittlauch, Thymian, Scharbockskraut (nicht zu viel!), Kerbel, Petersilie, Bärlauch und eben auch viele andere Küchenkräuter.

Galgant-Pulver

5 g Galgant
5 g Fenchelfrüchte
5 g Muskatnuss
10 g Bertramwurzel
Zu feinem Pulver zerstoßen und vermischen. 3-4 g davon täglich auf nüchternen Magen mit einem Bissen Brot verzehren oder in Suppe oder Gemüse geben. Das hilft bei starker Verschleimung der Atemwege und rauer Stimme, begleitet von schlechtem Geschmack im Mund.

Hildegards Nervenkekse

Abschließen möchte ich mit einem Rezept für die berühmten Hildegard-Nervenkekse, allerdings in einer etwas modernerer Fassung: vegan und statt Trocknung in der Sonne im Ofen gebacken.
1 Tasse Dinkelvollkornmehl
1 Tasse Dinkelmehl Typ 1050
3 EL Pflanzenmargarine
2 EL Reissirup, alternativ Agavendicksaft
1 Tasse gemahlene Mandeln
2 EL Apfelmark
1 EL Zimt
1 EL Muskatpulver
1 EL Nelkenpulver
1 Prise Meersalz
Den Backofen zunächst auf 200 °C Ober-/Unterhitze vorheizen. Alle Zutaten dann in eine große Rührschüssel geben und mit den Händen zu einem glatten Teig verkneten. Den Teig nun auf einer bemehlten Unterlage circa 1 cm dick ausrollen und die Nervenkekse ausstechen. Auf mittlerer Schiene 20 Minuten backen. Das Blech herausnehmen, sobald die Kekse beginnen, wunderbar zu duften.
Anwendung: Bei Nervenschwäche, Energielosigkeit, Konzentrationsschwäche, Geruchs- und Geschmacksverlust, Verbitterung oder Übersäuerung durch Schwarzgalle täglich drei bis fünf Plätzchen, dazu Dinkelkaffee oder gelöschten Wein.

Gelöschter Wein

Gelöschter Wein ist Hildegard zufolge eine gute Möglichkeit, die Gemütsverfassung zu erhellen. Wegen seiner froh machenden Wirkung könnte man ihn laut der Äbtissin auch als Antidepressivum bezeichnen.
Hierfür ¼ l Wein zum Sieden bringen und den Wein mit einem Schnapsglas voll kaltem Wasser ablöschen, sobald sich Bläschen bilden. Er sollte das Einschlafen erleichtern, indem er das Gedankenkarussell zum Stehen bringt und sich somit auf die gesamte Gemütsverfassung positiv auswirkt.

Viel Spaß beim Nachkochen, guten Appetit und viele Grüße
Alexandra Manger