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Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e. V.

Neuroreha bei Multipler Sklerose - Mein Erfahrungsbericht zur ambulanten Reha nach Sabine und Hans Lamprecht

Tom Foell, Blickpunkt-Ausgabe 04/2024

Als langjähriger Patient in mehreren Physiotherapie (PT)-Praxen hatte ich bereits 2022 ein Interview zum Thema Neuroreha bei MS mit Sabine Lamprecht (s. BP 3/2022). Sie ist selbst Physiotherapeutin, Fachbuchautorin und geschäftsführende Gesellschafterin der HSH-Praxis für Physiotherapie und Neurorehabilitation in Kirchheim/Teck. Für meinen Artikel hatte ich sie auch für eine Erstanamnese in ihrer Praxis besucht und ihr Fragen zur Neuroreha, der Verbreitung neuer Erkenntnisse bei den PT-Kolleg*innen und zur integrierten Therapie mit Ernährung gestellt. Sie erklärte mir damals auch ihre Methode der „evidenzbasierten Therapie”, die sie zusammen mit ihrem Mann an Physiotherapeut*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz weitergibt. Sabine Lamprecht war auch im Gremium für die Erstellung der aktuellen Leitlinie Neurologie zur Diagnose und Therapie von Multipler Sklerose. Diese Leitlinie ist entsprechend auch ein Leitfaden für interessierte Physiotherapeut*innen. Nach meinem Artikel über die theoretischen Hintergründe wollte ich einen Praxistest durchführen, der mit etwas Zeitverzug Thema der heutigen Ausgabe ist.

Die Planungsphase

Bei meinem Termin vor Ort bei Sabine Lamprecht im Jahr 2022 konnte ich mir die lokalen Bedingungen kurz ansehen und habe dann im nächsten Jahr einen gemeinsamen Plan inklusive der erforderlichen Rezepte mit ihrem Team ausgearbeitet und ihr Buch „Neuroreha bei Multipler Sklerose“ sowie die neurologische Leitlinie zur Behandlung von MS inklusive der Vorgaben für Physiotherapie studiert. Ich wusste also, wir sprechen über vier sehr intensive Trainingswochen mit 2–3 Stunden oder eventuell sogar noch längeren Trainingseinheiten pro Tag: ein sehr sportliches und sehr anspruchsvolles Programm für alle, aber besonders für jemanden, der mittlerweile körperlich stark eingeschränkt ist. Denn von echtem Sport konnte man bei mir schon lange nicht mehr reden. An guten Tagen war schon besseres Laufen möglich, aber an sehr schlechten kam ich zum Teil auch keine 100 m mehr voran.

Entsprechend hatte ich großen Respekt vor diesem Programm und recherchierte sehr intensiv zur Durchführung der ambulanten Reha, die gegenüber einer stationären Reha einige Herausforderungen, aber auch Vorteile bei der Planung und Umsetzung mit sich bringen.

Die Herausforderungen

Unterkunft/Ernährung Bei meiner recht restriktiven Ernährung (Coimbra-Protokoll & Hebener-Diät) wusste ich, dass ich dort optimalerweise eine Möglichkeit brauche, um täglich selbst zu kochen bzw. mir Nahrung zuzubereiten. Ein Hotel mit Vollpension kam aus verschiedenen Gründen für mich also nicht infrage. Ich glaube an die zentrale Bedeutung der Ernährung für meinen Therapieerfolg und wollte mich möglichst ohne große Abstriche optimal ernähren.

Trainings-Transfers Der Weg vom Zimmer zu den Trainingseinheiten liegt bei einer stationären Reha in der Regel im gleichen Gebäudekomplex und ist damit sehr kurz. Bei einer ambulanten Reha hängt alles von der Distanz der eigenen Unterkunft zur Physiotherapie-Praxis ab.

Reha und Beruf Eine stationäre Reha läuft über die Krankenkasse bzw. die Rentenversicherung und wird in der Regel als eine Art krankheitsbedingte Abwesenheit mit Entgeltfortzahlung und ohne Auswirkung auf den Urlaub behandelt. Eine ambulante Reha wird in der Regel ähnlich wie eine stationäre als krankheitsbedingte Abwesenheit behandelt, jedoch gibt es einige Unterschiede, da die Arbeitsfähigkeit möglicherweise teilweise erhalten bleibt. In jedem Fall muss man hier alles selbst organisieren.

Die Organisation

Zur Zeit meiner Planung gab es einige für mich sehr interessante Projekte in meinem Job, weshalb mir daran gelegen war, eine ambulante Intensiv-Reha mit meinem Job in Teilzeit zu kombinieren. Bei meiner Recherche fand ich auch keine geeignete und gut finanzierbare Unterkunft in der Nähe der Lamprecht-Praxis. Durch den guten Austausch mit meinen bestehenden PTs an meinem Wohnort wussten diese schon über meine Planung einer entsprechenden ambulanten Reha Bescheid und waren spontan auch bereit, sich in das Thema intensiver einzuarbeiten und die Reha nach dem Konzept von Sabine und Hans Lamprecht mit mir durchzuführen.

Ich hatte alles so organisiert, dass ich morgens trainiere und nachmittags noch halbtags arbeite – was zum Glück auch in meinem Job und für meinen Arbeitgeber kein Problem war. Nach Festlegung des Trainingsplans war klar, was ich brauche, und am Ende waren es mehrere Rezepte parallel für 4 Wochen für insgesamt ca. 240–300 €.

In einigen Vorgesprächen klärten wir, dass mich 2–3 feste Therapeuten aus der Praxis (David Crescentini und Lorenz Schellhammer) für die Reha begleiten. Wir mussten also „nur noch“ ein Zeitfenster finden, wann alle von uns am besten verfügbar waren. Nach Klärung der zeitlichen Rahmenbedingungen legten wir auch den Trainingsplan gemeinsam fest und freuten uns schon auf den Start. Ich konnte mich in der Zwischenzeit um die anderen Punkte kümmern, vor allem meine Ernährung während der Reha.

Über das Buch „Essen ändert alles“ von Holger Stromberg, dem ehemaligen Koch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, bin ich auf die Idee „Meal Prep“ gestoßen – also einfach am Wochenende das Essen für die kommende Woche in passenden Portionen für jeden Tag vorzubereiten. Das fand ich genial. Einer meiner besten Freunde ist auch noch ein guter Koch. Er kochte für mich, ich fror es in vakuumierten Portionen in der Tiefkühltruhe ein und konnte in der Reha täglich morgens vor dem Losgehen mein Essen aus dem Tiefkühlfach holen. Und nach meiner Rückkehr hatte ich ein superleckeres Essen, das ich nur noch aufwärmen musste.

Parallel dazu ging es an die Rezeptbeschaffung für die PT. Um die intensive Therapie zu ermöglichen, benötigte ich mehrere Rezepte gleichzeitig: KG-ZNS, KG Gerät und KG Doppelstunde. Mein Neurologe unterstützte das Vorhaben sofort, nachdem ich ihm von dem Team Lamprecht und ihrem besonderen Ansatz erzählt und das Konzept erklärt hatte.

Das Training/Die Reha

In der Reha lag der Fokus dann auf:

  • gezieltem Training der bei mir (und auch grundsätzlich bei MS typischerweise) betroffenen Muskeln (besonders Fußheber und Hüftbeuger);
  • Intervalltraining auf dem Laufband mit 10 Grad negativer & positiver Steigung je 10–15 min pro Einheit;
  • einbeinigen Kraftübungen für den Oberschenkel;
  • spezifischem Rumpftraining;
  • intensivem Kardio-(Geh-)training am Ellipsentrainer;
  • Bauchlage, Planking-Variationen, Kobra insbesondere für Hüftgelenksbeuger und zur Vorbeugung von Kontrakturen sowie Kräftigung der tiefliegenden und schrägen Bauchmuskeln an den Geräten und mit Körpereigengewicht zur Flexibilitätssteigerung.

Möglichst viele Übungen habe ich im Stehen oder Gehen durchgeführt, denn wie u. a. auch Sabine Lamprecht sagt: „Gehen wird durch Gehen gelernt und durch Gehen trainiert.“

Das Ergebnis

Zum Start waren alle Übungen für mich extrem schwer, angefangen vor allem mit dem Laufband. Aber auch die anderen Kraftübungen waren sehr anstrengend und nach in der Regel weniger als 7 min bekam ich schon Probleme mit Klonus (also unwillkürliche, rhythmische Kontraktionen von Muskeln) in meinem schwachen linken Bein und musste die Übung unterbrechen. Einige Übungen – z. B. am Ellipsentrainer – waren anfänglich für mich gar nicht machbar. Tatsächlich musste ich in den ersten zwei Wochen wirklich alles geben, konnte dann aber auch schon erste Erfolge spüren. In der 3. Woche war für uns alle sichtbar, dass ich auf der richtigen Spur bin. Nach vier Wochen hatte ich meine Reichweite auf dem Laufband fast verdoppelt und konnte dafür auch ⅓-mal länger auf dem Laufband bleiben als zum Start (15–20 min pro Einheit) – und das 2-mal pro Tag im Abstand von 1–2 Stunden. Ich fühlte mich wie ein Sieger bei den Olympischen Spielen. Mit den richtig fitten Trainingspartner*innen in der Praxis (zum Teil echte Sportler*innen) war ich natürlich überhaupt nicht vergleichbar, aber für mich hatte ich immens viel erreicht. Am Ende der Reha war ich fast so weit, meine Gehstöcke wieder in den Schrank zu stellen. Entsprechend war ich sehr zufrieden und glücklich über mein Ergebnis. Hier nochmal an meine beiden Physiotherapeuten David Crescentini und Lorenz Schellhammer: Danke für euren großartigen Support, eure Motivation und euere ständig neue Inspiration in all dieser Zeit.

Fazit?

Doch dann kam das Leben natürlich wieder anders als geplant. Nach einem Wochenendausflug zu Freunden an die Nordsee musste ich an einem Montag mit akuten Magenschmerzen in die Klinik. Ich durfte für eine akute Gallenblasenentfernung zwei Wochen stationär dortbleiben und war die meiste Zeit kaum bewegungsfähig. Die zwei Wochen haben mir meine kompletten Trainingserfolge wieder vernichtet. Also zurück auf null! Trotz des unglücklichen Endes hat die intensive ambulante Reha bewiesen, dass auch bei fortgeschrittener MS noch erstaunliche Verbesserungen möglich sind. Der Erfolg hängt dabei aus meiner Sicht von mehreren Faktoren ab:

  • einer durchdachten und sehr guten Vorbereitung/Organisation;
  • der richtigen Unterstützung (Therapeut*innen, Ärzt*innen, Freund*innen, Familie);
  • einer angepassten Ernährung und
  • nicht zuletzt der eigenen Motivation.

Die ambulante Variante ermöglicht dabei eine flexible Integration in den Alltag, erfordert aber auch ein hohes Maß an Selbstorganisation. Ein japanisches Sprichwort sagt „Sieben Mal hinfallen und acht Mal aufstehen“ (Nana korobi ya oki). Mit dem 8. Mal aufstehen allein war es natürlich leider nicht getan. Mittlerweile bin ich zum Glück wieder viel fitter. Aber dazu mehr in meinem nächsten Artikel…

 Weitere Informationen

Hemmer B. et al. 2023. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2023, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, abrufbar im Internet unter dgn.org/leitlinie/diagnose-und-therapie-der-multiplen-sklerose-neuromyelitis-optica-spektrum-erkrankungen-und-mog-igg-assoziierten-erkrankungen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
Lamprecht, S./Lamprecht, H. 2020. Neuroreha bei Multipler Sklerose. Stuttgart: Thieme.
Stromberg, H. 2019. Essen ändert alles: Das Rezept für ein gesundes, nachhaltiges Leben. München: Südwest.
Tholen, R. et al. 2019. Bewegungstherapie zur Verbesserung der Mobilität von Patienten mit Multiple Sklerose, abrufbar im Internet unter www.hippocampus.de/media/316/cms_5c74f5e9ede82.pdf.